Häuserfront

Würdiges Wohnen für Alle

2014

Der „Arbeitskreis Soziale Beratung in Bonn“ hat aus seinem kollegialen Austausch zu dem Schwerpunkt WOHNEN ein gemeinsames Papier herausgegeben.
Die Forderung „Wohnraum für viele statt Luxussanierungen für wenige“ ist aktueller und brisanter als je zuvor.

Der „Arbeitskreis Soziale Beratung in Bonn“ hat sich am 13. März 2014 gegründet und setzt sich zusammen aus VertreterInnen von Einrichtungen, die soziale Beratung in Bonn anbieten. Er trifft sich ca. alle drei Monate, um verschiedene Schwerpunkte fallbezogen und vernetzt zu bearbeiten. Aufgrund unserer täglichen Beratungsarbeit ist unser gegenwärtiger Schwerpunkt die Verbesse-­rung der Wohnsituation in Bonn. Aus dem bisherigen kollegialen Austausch dazu hat sich folgen-­des entwickelt:

Rückmeldung zu den Zuständen der Wohnungen in Bonn

  • Von BeraterInnen aller sozialen Beratungseinrichtungen wurde Schimmel in der Wohnung als ein großes Problem benannt, das den Menschen, mit denen diese arbeiten, zu schaffen macht. Bei Schimmelbefall der Wohnung fühlt sich letztlich niemand zuständig, die Wohnungen sind im schlechten Zustand und werden nicht instand gehalten. Ursa-chen sind in den seltensten Fällen zu geringes Lüften, oder ähnliches Fehlverhalten der Mieter, jedoch entziehen sich viele Vermieter mit einer solchen Beschuldigung ihrer Verantwortung.
  • Viele Wohnungen sind schlecht isoliert und nach der notwendigen Grundsanierung gelten die Mieten leistungsrechtlich als unangemessen. Das Jobcenter fordert dann zum Wohnungswechsel und zur Reduzierung der Kosten auf. Bezahlbare Wohnungen sind nicht vorhanden oder in einem schlechten Zustand. Dies ist ein entwürdigender Kreislauf.
  • Heiz-­ und Nebenkosten sind wegen fehlender Wärmedämmung sehr hoch. Ebenso sind die Heizkosten in den Abrechnungen oft nicht nachvollziehbar.
  • Oft fehlen eine ausreichende Wärmedämmung und Bodenbeläge. Weiterhin gibt es Asbestschäden, also Zustände, die gesundheitsschädlich sind.
  • Manche KlientInnen frieren, weil die Heizung kaputt ist und sich niemand für das Problem interessiert.
  • In alten Wohnungen sind noch Kohleöfen. Ältere Menschen sind damit überfordert, schaffen es nicht, die Kohlebriketts zu tragen und stellen sich Radiatoren in ihre Wohnung. Die Folge sind extrem hohe Stromkosten, die nicht übernommen werden.

Reaktionen der Verantwortlichen (Vermieter Stadt Bonn, Jobcenter, Wohnbaugesell-­schaften) und deren Auswirkungen

  • Für Menschen, die lange arbeitslos oder aus anderen Gründen psychisch belastet sind, ist eine Wohnung, die als einigermaßen sicher empfunden wird, unabdingbar. Wenn z.B. noch Lärmbelästigung durch einen ungünstigen Standort oder fehlende Lärmschutzfenster 1 dazukommen, ist eine psychische Stabilisierung sehr schwer.
  • Nach langer Erwerbslosigkeit und fehlenden beruflichen Perspektiven verbringen KlientInnen viel Zeit zu Hause. Deshalb müssen gerade die Wohnbedingungen (warm, trocken, sicher) stimmen, da sie sich hier hauptsächlich aufhalten.
  • In bestimmten Stadtteilen kann schwer ein Gefühl von Sicherheit entstehen. Oft sind es aber gerade diese Stadtteile, in denen bezahlbare oder als leistungsrechtlich angemessen geltende Wohnungen vorhanden sind. So entwickelt sich ein weiterer Kreislauf von Stigmatisierung, Destabilisierung und Entwürdigung.
  • Viele Menschen müssen auf Wohnungen der so genannten „Heuschrecken“ zurückgreifen. Diese Wohnungen sind in einem sehr schlechten Zustand (Schimmel, mangelnde Wärmedämmung. Folgen: gesundheitliche Schäden und Heizkosten, die nach der ersten Betriebskostenabrechnung in die Höhe gehen).
  • Wohnungsmängel sind bei KlientInnen mit vielschichtigen Problemlagen oft der „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“
  • Eine Umzugsgenehmigung bei Schimmel in der Wohnung wird oft nicht erteilt. Auch wenn die Stadt Bonn aktiv wird und mit Fotos den Schimmel dokumentiert, wird nicht wirklich gehandelt.
  • Es gibt auch die Situation, dass die Weigerung des Jobcenters, die gestiegenen Heizkosten zu übernehmen, Mieter zum Stromsparen zwingt und deshalb tatsächlich Lüftungs-probleme zu dem Problem mit beitragen.
  • Bonner Bürgerinnen und Bürger, die zum Wohnungswechsel aufgefordert werden, finden nur sehr schwer eine neue Wohnung.
  • Vereinzelt werden Bonner Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, ihre Suche auf den Rhein‐Sieg Kreis auszuweiten.
  • Gerade Einelternfamilien und große Familien haben es sehr schwer, eine neue Wohnung zu finden. Ältere Menschen finden sehr schwer eine neue Wohnung: sie „könnten ja bald pflegebedürftig werden“.
  • „Angemessenheitsgrenzen“ sind kaum einzuhalten.
  • Nachzahlungen der immensen Nebenkosten werden nicht übernommen
  • Pauschalisierungen der Heizkosten können sich verheerend auswirken. Es ist zu beobachten, dass es viele KlientInnen gibt, die dem Druck des JC, Heizkosten zu sparen, nachkommen, indem sie tatsächlich nicht heizen und frieren. Gesundheitliche Einschränkungen wie Bronchitis und chronische Erkrankungen sind die Folge.
  • Da das Jobcenter die Heizkosten deckelt, die realen Kosten also nicht übernimmt, geraten MieterInnen in die Schuldenfalle. Sie machen die Erfahrung, dass das JC entweder nicht auf ihre Not reagiert, oder die MieterInnen beschuldigt.
  • Es besteht eine sehr große Unverhältnismäßigkeit, was die Kontrolle und Reglementierung der Betroffenen einerseits und den Freischein für Vermietergesellschaften (Duldung von überhöhten Mieten und Nebenkosten und Verfallenlassen der Wohnung) andererseits betrifft.
  • Viele Wohnungsbaugesellschaften sind äußerst selten im Interesse ihrer Mieter tätig, sehr schwer telefonisch erreichbar und handeln bei Problemen selten zeitnah im Interesse ihrer Mieter (defekte Heizung, defekter Aufzug, nicht abzustellende Heizung im Sommer,…)

Lösungsmöglichkeiten

Die Wohnungssituation in Bonn hat sich deutlich verschlechtert, seit die Stadt Bonn den großen Teil ihrer Wohnungen verkauft hat. Seit dem Markteintritt von Investmentfonds in den deutschen Wohnungsmarkt werden die Wohnungen als Ware gehandelt, gekauft, verkauft, so dass die Vermieter oft wechseln, nicht erreichbar sind, kein Interesse an dem Zustand der Wohnung haben und Heizkosten oft nicht zu ermitteln sind. Die Stadt müsste ihrer Verantwortung, für menschenwürdige Wohnungen zu sorgen, wieder mehr nachkommen. Praktisch würde das z.B. für das Jobcenter bedeuten, bei den Mieten, die es zahlt, eine angemessene Qualität bei den Ver-­mietern einzufordern. Es könnten Standards für die Wohnungen festgelegt und kontrolliert werden. Weitere Lösungsmöglichkeiten für die oben beschriebenen Problematiken könnten sein:

  • Damit auch für alte, eingeschränkte oder behinderte Menschen die eigene Versorgung sichergestellt ist, brauchen wir behindertengerechte Wohnungen. Diese sind nicht ausreichend vorhanden!
  • Stärkung der Wohnungsaufsicht, um Bonner Bürgerinnen und Bürgern eine Unterstützung bei Problemen mit den „Heuschrecken“-­Vermietern zur Verfügung zu stellen.
  • Überprüfung und Anpassung der Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft.
  • Mieter müssten darüber aufgeklärt werden, dass die Miete direkt an den Vermieter durch das Jobcenter angewiesen werden kann. Die Mietzahlung ist so gesichert.
  • Die Eingriffsinstrumente, die die Stadt ja bereits hat, sollten eingesetzt werden, um unwürdige Wohnverhältnisse abzustellen. In der Wohnungsmarktanalyse von 2012 wurden diese bereits benannt:

Obwohl die Stadt Bonn über hoheitliche Eingriffsinstrumente verfügt, mit denen sie gegen das Problem mit verwahrlosten Immobilien angehen kann, werden diese viel zu selten eingesetzt. Dazu gehören folgende:

  • Baugebot
  • Zweckentfremdungssatzung
  • Erhaltungssatzung
  • Modernisierungsgebot
  • Instandsetzungsgebot
  • Rückbau- und Entsiedlungsgebot
  • Vorkaufrecht
  • Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen
  • Stadtumbaumaßnahmen
  • Abbruch- und Beseitigungsmaßnahmen
  • Anordnung von Sicherheitsmaßnahmen
  • Anordnung von Instandsetzungsmaßnahmen
  • Instandsetzungsanordnung
  • Anforderung an einen Mindeststandard für Wohnraum
  • Enteignung
  • Denkmalschutz
  • Der existierenden Wohnungsaufsicht fehlen die Mittel, tatsächlich Einfluss zu nehmen. Die reine Dokumentation ist nicht hilfreich. Wohnungsaufsicht müsste materiell und personell gestärkt werden.
  • Mehr Personal für die Mieterberatung der Stadt Bonn.
  • Es braucht klare Zuständigkeiten bei Wohnungsmängeln, kompetentes und ausreichen-­‐des Personal, welches ein Instrumentarium zur Verfügung hat, um wirksam zu agieren, z. B. bei Schimmelbefall, Nebenkostenabrechnung und anderen Belangen des angemessenen Wohnens.
  • Eine Notwendigkeit wäre es, die Beratungen zum Themenkomplex Wohnen mit mehr Stellen und vor allem mit JuristInnen auszustatten, um konkrete Verbesserungen im Einzelfall durchzusetzen.
  • Miet-­ und Heizkosten sollten real übernommen werden.
  • Mit Wohnungen (vor allen den neu gebauten) der VEBOWAG sind gute Erfahrungen zu verzeichnen. Der Aspekt der Inklusion hat hier sicherlich eine unterstützende Rolle gespielt.
  • Es braucht auf allen Ebenen, aber vor allem auf Seiten der Wohnungsbaugesellschaften kompetente, erreichbare und ausreichende AnsprechpartnerInnen.
  • Die Verantwortlichen bei Vebowag und Deutsche Annington sollten in die Pflicht genommen werden, ihre Wohnungen gut bewohnbar zu machen und ihren MieterInnen eine freundliche und verbindliche Vermieterin zu sein.
  • Beratungseinrichtungen, die mit den Folgen der desolaten Wohnungssituation zu tun haben, brauchen mehr Personal.
  • Das Jobcenter braucht auch mehr Personal und den politischen Willen (Dienstanweisung), damit entweder Mängel in der Wohnung abgestellt werden oder Umzüge erlaubt werden.
  • Neubau von Wohnungen. Schaffung und Förderung des sozialen Wohnungsbaus in allen Stadtbezirken. Schaffung von bezahlbarem und barrierefreiem Wohnraum.
  • Keine weitere Privatisierung von Wohnraum. Öffentlich geförderte Wohnungen nicht aus der Bindung fallen lassen.
  • Rekommunalisierung verkaufter Wohnungsbestände.
  • Förderung von Erneuerungsmaßnahmen unter sozialen, städtebaulichen und ökologischen Kriterien.
  • Leerstand bekämpfen: Konsequente Umsetzung der Zweckentfremdungsverordnung mit dazu erforderlicher Personalausstattung.
  • Keine Zwangsumzüge bei Transferleistungsbeziehenden und keine Kürzung von Leistungen, wenn in der gesetzten Frist angesichts der Bonner Wohnsituation keine Wohnung gefunden wurde.
  • Erhöhung der Richtwerte für die Kosten der Unterkunft bei Transferleistungsbeziehenden.
  • Keine soziale Verdrängung aus zentrumsnahen Stadtteilen. Festlegung von Mietobergrenzen statt Gewinnmaximierung.
  • Umzugsgenehmigung für Transferleistungsbeziehende bei gesundheitsschädlicher Wohnsituation (Schimmelbefall, nicht funktionierende Heizungen etc.).
  • Übernahme der Kosten eines Sachverständigen bei Schimmelbefall durch das Jobcenter.

Stand November 2014


1 „Akut kann er aggressiv machen und Stressreaktionen bewirken. Stresshormone können selbst im Schlaf, wenn wir ihn gar nicht bewusst wahrnehmen, ausgeschüttet werden. Chronischer Lärm kann körperlich krank machen, weil sich der permanente Stress auf das Herz-­KreislaufSystem auswirkt. Manche Menschen reagieren aber auch mit Hilflosigkeit, die in eine Depression übergehen kann.“ Hellbrück, Psychologe, Lärmwirkungsforscher und Professor für Arbeits‐, Gesundheits‐ und Umweltpsychologie. Spiegel online 16. 4. 14