Was wirkt denn da?
20141. Die Beratungsstelle als Ort der kollektiven Arbeit
Die TuBF wird von vielen Ratsuchenden als sicherer Ort empfunden. Das liegt auch daran, dass die TuBF als ein Ort der kollektiven Arbeit und der Reflexion von Machtverhältnissen wahrgenommen wird, an dem hinter jeder Therapeutin ein Team von Kolleginnen sichtbar ist und gegenseitige Unterstützung und fachlicher Austausch die Therapien begleiten.
Insofern ist die Beratungsstelle als transparenter Frauenort durchaus immer noch als Gegenentwurf zu verstehen, als ein Ort der hierarchiearmen Frauenorganisation, wo Theorie und Praxis, Denken und Handeln, Autorität und Verbundenheit zusammen gedacht werden.
2. Die Motivation der Frauen als Motor der Veränderung
Wir arbeiten mit Frauen, die etwas wollen. Manchmal zeigt sich das in einer Sehnsucht danach, aus ihren krisenhaften Lebensumständen endlich herauszufinden. Manchmal zeigt sich das auch in ihrer Empörung darüber, durch Gewalt oder soziale Einschränkungen in Not geraten zu sein. Manchmal besteht ein psychischer Leidensdruck, von dem sie sich Entlastung erhoffen. Sie wollen sich als selbstwirksam erleben und aus ungewollten Abhängigkeiten herausfinden.
3. Team und Kompetenzen
In der TuBF arbeiten sechs erfahrene Fachfrauen 1 mit einem großen Spektrum an Therapiemethoden. Team und Fall-Supervisionen, kollegiale Intervisionen und regelmäßige Fort- und Weiterbildungen sind selbstverständlich. Zur therapeutischen Praxis gehören:
Wir unterstützen darin, Probleme oder Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und zu klären. Wir fördern die Selbstwahrnehmung, Selbstbehauptung und soziale Achtsamkeit. Wir schulen Klientinnen in ihren Fähigkeiten, Grenzen zu setzen und sich mit Menschen zu verbinden. Wir konfrontieren mit Realitäten und fordern zum Neuorientieren heraus. Wir machen unsere Intention und Grundhaltung, unser Menschenbild und unsere Interventionen transparent.
Grundlage unserer Arbeit ist es, einen tragfähigen und authentischen Kontakt herzustellen, wozu Verbindlichkeit und Kontinuität gehören.
4. Arbeitshaltungen
Unsere Haltung ist ressourcenorientiert,
weil nur so ein sicherer Umgang mit schwierigen Lebensthemen und psychischen Nöten wirkungsvoll möglich ist.
Der achtsame und würdevolle Respekt und das Interesse, mit dem wir Klientinnen begegnen, ist bereits eine Ressource, die Vertrauen schafft und Mut macht.
Es gibt Ressourcen wie „Bausteine guter Erinnerungen“ 2, verlässliche zwischenmenschliche Kontakte, die Erfahrung von Sicherheit und individuelle Kraftquellen. Wichtig sind aber auch äußere Lebensbedingungen als notwendige Ressourcen. Das können zum Beispiel sein:
- einen Job zu haben, der als sinnvoll erlebt wird und anerkannt wird;
- ein gutes Betriebsklima und Strukturen, die menschenfreundlich sind;
- die Einhaltung des Gewaltschutzgesetzes durch geschulte BeamtInnen;
- die Unterstützung von Angehörigen und FreundInnen.
Zu den Ressourcen, die als Heilungsfaktor unumgänglich sind, die aber oft nicht vorhanden sind, gehören z.B.:
- eine gute Gesundheitsversorgung mit vertrauensvollem und kompetentem medizinisch / pflegendem Personal,
- ein sicherer Aufenthaltsstatus für Migrantinnen,
- eine ausreichende Grundversorgung 3 auf allen Ebenen.
Unsere Haltung ist ergebnisoffen
Auch wenn klare Zielsetzungen und Lösungsorientierungen sehr hilfreich sein können, um angestrebte Ziele zu verfolgen, ist das nicht der einzige Weg. So öffnet der Verzicht auf vorgegebene Raster oft den Raum für überraschend kreative Lösungen; diese können entstehen, wenn wir offen sind für einen Weg, der sozusagen im Gehen erfunden wird. Ergebnisoffen heißt von unserer Seite aus, dass wir als Beraterinnen nicht die Ziele vorgeben.
Unsere Haltung ist kontextorientiert (statt individualisiert) und subjektorientiert
Frauen brauchen die offene, psychologische Frauenberatung, in der es nicht primär um schnelle Diagnosestellung und Wiederherstellung von Funktionstüchtigkeit geht, sondern um einen Ort, an dem Sicherheit, Zeit und Raum geboten werden um zu begreifen, in welcher Dynamik von Ohnmacht, Überlastung oder auch eigener Gewalttätigkeit sie sich befinden und welche Ressourcen genutzt werden können.
Wir sehen nicht nur die Ratsuchende, die uns im Beratungs-/Therapieraum gegenübersitzt, sondern auch möglichst viel ihres Lebensumfeldes. Wenn Klientinnen beispielsweise an den Folgen dessen leiden, was andere Menschen ihnen an Gewalt zugefügt haben, wie bei Krieg, sozialem Abstieg oder Vergewaltigung, spielen oft überindividuelle Zusammenhänge eine wichtige Rolle. Wenn wir diese mit einbeziehen, werden Frauen nicht auf ihre individuellen Biographien oder familiären Verstrickungen reduziert und zurückgeworfen. So können kollektive Unterstützungsmöglichkeiten, aber auch Grenzen der Hilfe erkannt werden.
Gleichzeitig sehen wir die persönlichen und unverwechselbaren Seiten unserer Klientinnen, auf die wir im Beratungsprozess aufbauen.
Dieser Prozess setzt von Seiten der Therapeutinnen auch ein Team voraus, das offen ist für reflektierte, differenzierte Blicke auf die Welt über den individualtherapeutischen Tellerrand hinaus und ein Team, das ebenso wie die Klientinnen, immer wieder neu die Kräfte und Möglichkeiten zwischen AUSHALTEN und VERÄNDERN auszubalancieren sucht.
Für die TuBF als Einrichtung bedeutet Kontextorientierung auch, uns mit andern Menschen und Institutionen zu vernetzen. In den Bereichen Transkulturalität, Arbeit mit Frauen mit Handicap, Lesben- (Trans*) arbeit oder politische punktuelle Bündnisse zu Themen wie Hartz IV, sind uns Auseinandersetzungen wichtig. Gegenseitige Inspiration und fachliche Aufklärung wirken auf allen Ebenen. Uns auch in unserem herrschaftskritisch-feministischen Arbeits- und Denkansatz transparent zu machen, ist uns ein wichtiges Anliegen.
Unsere Haltung ist reflektiert parteilich
Reflektierte Parteilichkeit ist eine professionelle Haltung, die die Klientin ernst nimmt und ihr glaubt. Das bedeutet nicht, einfach alles gut zu heißen, was sie denkt und tut. Vielmehr bedeutet es die Anerkennung, dass wir als Therapeutinnen keine objektive oder neutrale Instanz sind, sondern Teil der Gesellschaft; und als solche haben wir uns mit Gewalt und Machtstrukturen vertraut gemacht und unterstützen Frauen konsequent in ihren Impulsen nach Selbstbestimmung, eigener Autorität und Unversehrtheit. Diese Positionierung als Beraterin erfordert Achtsamkeit in der Wahrnehmung und Würdigung der Differenz. Die Beraterin macht sich die Klientin im Sinne einer falschen Solidarisierung nicht gleich und lässt sich auch nicht gleich machen. Reflektierte Parteilichkeit erscheint uns eher als Freiheit, für die Klientin ein fassbares und klares Gegenüber zu sein, das Gefühle nicht nur spiegelt, sondern sie auch teilen kann, das bei Bedarf auch Antworten geben und nicht nur Fragen zurückwerfen kann. Parteilich für Frauen zu sein ist die Bereitschaft, konsequent Frauen mit Wertschätzung entgegenzutreten und sie sowohl in ihren Opfererfahrungen als auch Täterinnenhandeln zu sehen und ernst zu nehmen; die Freiheit, sowohl einen reflektiert gleichen Blickwinkel auf die Welt zu haben und bei Bedarf auch als Mittlerin / Vermittlerin / Verbindung zur Welt zeitweise zur Verfügung zu stehen.
Unsere Haltung ist nicht pathologisierend
Ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel unserer Arbeit ist unsere nicht pathologisierende Haltung unseren Klientinnen gegenüber. Als Beratungsstelle haben wir den Vorteil, keine medizinischen Diagnosen stellen zu müssen. Vielmehr können wir die persönliche Erzählung der Klientin, ihren unverwechselbaren Lebensausdruck zur Leitlinie unserer Arbeit machen.
Als professionelle Beraterinnen/ Therapeutinnen benutzen wir auch die Hilfsmittel der diagnostischen Kategorien, weil sie den Erfahrungsaustausch untereinander zuweilen erleichtern. Manchmal können Diagnosen auch für Klientinnen eine entlastende Wirkung haben, weil sie eine von außen gestellte und anerkannte Erklärung oder Nachweis für das erlebte Leid anbieten. 4 Diagnosen können hilfreich sein, wenn sie reflektiertes Erfahrungswissen zugänglich und handhabbar machen. Diagnostische Erfassung kann jedoch zu einem Herrschaftsinstrument werden, wenn sie dafür benutzt wird, Klientinnen ihrer eigenen Wahrnehmung und Erfahrung zu berauben, indem standardisiertes, vom zwischenmenschlichen Kontakt losgelöstes Zählen von Symptomen höher bewertet wird als den Dialog mit Klientinnen. Krankheitsdiagnosen sind kulturell und medizintechnisch geprägte Instrumente und keine Naturgesetze und in ihrer Handhabung kritisch zu reflektieren.
Die „Symptome“, unter denen manche der Klientinnen leiden, sind zuerst einmal nicht die Ursache, sondern sie sind Ausdruck ihrer Not. Wenn wir bewusst auf schnelle Diagnosen und die damit verbundene Pathologisierung verzichten, so wollen wir damit nichts verharmlosen. Einer Klientin, die unter den Folgen von Gewalt 5 leidet, möchten wir nicht vermitteln, das sei normal und gehöre zum lebendigen Ausdruck eines Lebens und sie damit alleinlassen. Wir möchten ihr aber auch nicht sagen, dass das, was sie als Leid erlebt, pathologisch sei, ihr Innerstes krank sei und behandelt werden müsse, damit sie wieder gesund / normal würde. Vielmehr möchten wir mit ihr in den Dialog gehen, ihre Erfahrung und ihre Deutung aufnehmen und mit unserem Wissen und unserer professionellen Erfahrung ergänzen. Das Ziel ist, dass das Leid erträglich wird, sie handlungsfähig bleibt und nicht verzweifeln muss. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Ängste, Trauer und Schmerz potentiell auch eine Kraft in sich bergen, die zeigt, was dagegen helfen könnte.
Der Verzicht auf Pathologisierung konfrontiert uns auch mit der Frage, wie in einer Gesellschaft Therapiebedürftigkeit definiert wird.
Jede Generation macht, oft in früher Kindheit, jeweils spezifische Leiderfahrungen: Verletzungen, nicht adäquate elterliche Sorge, fehlende und ungute Bindung, Gewalt oder Missachtung. Je nach gesellschaftlichen Normen, Werten und wirtschaftlich-politischen Verhältnissen, sehen die Erziehungsgrundsätze und Lebensmaximen in jeder Generation unterschiedlich aus. Was als richtig und angemessen gilt, unterliegt dem Zeitgeist – und so wandeln sich die Erfahrungen von gelingenden, fehlenden oder schädigenden Erziehungsimpulsen.
Je entwickelter unsere psychologischen Theorien und pädagogischen Reflexionen sind, desto genauer scheinen wir auch zu erkennen, welche Faktoren auf den verschiedenen Ebenen von Wachsen und Reifen wirken:
- So können etwa unerwünschte oder ersehnte Schwangerschaften früh mitbestimmen, wie willkommen wir uns in der Welt fühlen.
- Geburten mit oder ohne Komplikationen können das emotionale, körperliche und nervale System mal mehr oder weniger gut auf die nächsten Entwicklungsschritte vorbereiten.
- Ein menschliches Umfeld, das in der Lage und willens ist, sich auf die Bedürfnisse eines Babys einzustimmen und eine angemessene Antwort darauf zu finden, kommt einen menschlichen Schatz an Kraft und Vertrauen gleich, aus dem sich noch im Erwachsenenleben schöpfen lässt. Fehlt all das, kann es eine Kinderseele an den Rand der Vernichtung treiben.
- Eine Umgebung, in der Erwachsene über genug eigene Ressourcen und Sicherheiten verfügen, um Kindern ein Gegenüber zu sein, das handelnd vorangeht, das geben und bieten kann, was je nach Bedarf und Entwicklungsstufe angemessen ist – Bindung, Grenzen, Individualität, Gemeinschaft, Sinn, Perspektive – ist ein riesiges und unermessliches Geschenk.
Unser pädagogisch-psychologisches Wissen ist hilfreich, um all das zu verstehen und Bedingungen zu schaffen, die viel von dem bereitstellen können, was benötigt wird.
Je mehr wir wissen, desto klarer wird auch, dass der Mensch ein Mensch ist: So kann es keine perfekten unfehlbaren oder ausschließlich guten Mütter, Väter, Familien und Erziehungsinstitutionen geben. Und so gibt es auch überforderte, gewalttätige, gleichgültige und sadistische Bezugspersonen. Ebenso, wie es sowohl unterstützende als auch prekäre Lebensumstände gibt. Leben und Aufwachsen erfordert immer verschiedene Anpassungs- oder Überlebensmuster und jeder Mensch muss als Erwachsener eine Haltung zu diesen Erfahrungen finden.
Das kann natürlich nicht bedeuten, dass jeder Mensch therapiebedürftig ist. Das bedeutet vielmehr, dass jeder Mensch über sich hinauswachsen kann, wie es jedes Kind tut, das überlebt. Und je mehr Raum und Ressourcen eine Gesellschaft bereitstellt für Entfaltung und Lernen, soziale (Ver-) Bindungen, unterstützende Freundes- und Familienstrukturen, sinnvolle und erfüllende Arbeitsmöglichkeiten, politische Freiheiten und Möglichkeiten zu solidarischer Verantwortung, umso mehr kann jede Einzelne aus Ängsten und Verzweiflung herausfinden und desto offener kann jede Gesellschaft mit dem so verschiedenen Gewordensein Einzelner jenseits von Gesundheits- und Krankheitsnormierungen umgehen lernen.
Was eine Gesellschaft und was jede Einzelne an Kapazitäten aufbringt, mit menschlichem Leid, Schmerz und Einschränkungen zu leben, bedingt sich gegenseitig. Menschen sind soziale Wesen. Sie sind in ihrem Gefühl, ein Existenzrecht zu haben, von anderen Menschen abhängig, davon, wie akzeptierend ihre Umgebung mit Hilfsbedürftigkeiten, Leid und Schmerz umgeht und davon, wie ihre Umgebung Schutz vor Gefahren und Gewalt sicherstellt. Gleichwohl sind Menschen auch autonome Wesen, die die Freiheit brauchen, selbstbestimmt und selbstwirksam das Zusammenleben zu regeln.
Wir legen Wert auf Selbstbestimmung
In der Selbstbestimmung der Klientinnen sehen wir eine große Ressource und ein Menschenrecht. Selbstbestimmung ist jedoch nicht etwas, was jeder Mensch für sich herstellen kann, sondern etwas, was erst im sozialen Miteinander einen Wert und eine Wirklichkeit bekommt. Für den einzelnen Menschen kann Selbstbestimmung bedeuten, innerhalb der Lebensumstände, wie sie nun mal gerade sind, dennoch Spielräume zum Nachdenken und Handeln zu erkennen.
Selbstbestimmung für Menschen mit leidvollen Lebenseinschränkungen bedeutet praktisch, dass es ihnen auch außerhalb professioneller Beratung oder Therapie ermöglicht werden muss, sich in Krisen gegenseitig und aufgrund eigener Erfahrungen zu unterstützen 6. Selbstbestimmung bedeutet, das Recht und die Möglichkeit der Wahl zu haben zwischen pharmakologischer oder/und zwischenmenschlicher und/oder professioneller Begleitung. Dafür Sorge zu tragen, ist eine gesellschaftlich – politische Aufgabe.
Der TuBF als Organisation geben wir eine selbstbestimmte Arbeitsform, die uns die Verknüpfung von qualifizierter Arbeit mit basisdemokratisch orientierten Strukturen ermöglicht. Selbständige und eigenverantwortliche praktische Arbeit wird getragen von gemeinsamen Entscheidungsprozessen in konzeptionellen Fragen. Regelmäßige Teamsupervision durch eine auswärtige Supervisorin, interne Intervisionen und ein kontinuierlicher interner Arbeitskreis zu therapeutischen und politischen Themen erweitert unsere feministische Kompetenz und ermöglichen uns eine solidarische, befriedigende und kompetente Zusammenarbeit.
Wir legen Wert auf geschlechtsspezifisch reflektiertes Hintergrundwissen
Wir sind Frauen – und wir sind mehr als das.
Es gibt ein breites Forschungs- und Erkenntnisspektrum bezüglich sozialer und kultureller Aspekte von Geschlecht oder Gender. Zum TuBF Beratungsstandard gehört, über relevante Entwicklungen und Erkenntnisse informiert zu sein und abzuschätzen, welches Gewicht wir dem für unsere Beratungsarbeit geben möchten. Geschlechtsspezifisches Wissen und Forschen befindet sich immer in dem Spannungsfeld zwischen zuschreibender Festlegung (Frauen sind so) und Nivellierung jeder Differenz (Frauen sind nicht). Für uns hat die Anerkennung der Differenz zwischen Frauen einen großen Wert und findet ihren Ausdruck in den „feministischen Grundwerten“ unseres Arbeitsprofils.
Wir beraten Frauen bzw. transgender Menschen, die sich in der großen Bandbreite von Geschlechterzuschreibungen und -erfahrungen selbst eher als Frau definieren, bzw. damit vertraut oder sichtbar sind. Das ist unsere vorläufige definitorische Verortung angesichts unserer wachsenden Bereitschaft, die Nichteindeutigkeit weiblicher Geschlechtsidentitäten anzuerkennen.
Jede Weiblichkeitsdefinitionen ist verwoben mit altersspezifischen, kulturellen, religiösen und klassenbezogenen Aspekten. Für die Weite und Komplexität dieser sozialen Zusammenhänge sensibel zu sein, ist eine hilfreiche Erkenntnisressource für uns Beraterinnen und gegebenenfalls auch für unsere Klientinnen.
Die TuBF versteht sich als Ort, an dem das Lesbisch -Sein eine positive Möglichkeit weiblicher Lebens- und Liebesformen darstellt.
In der TuBF erhalten Frauen, die sich zu Frauen hingezogen fühlen, kompetente Unterstützung für Konflikte und Krisen, die das Leben bereitstellt. Wir unterstützen lesbisches Leben sowohl in seiner Besonderheit als auch in seiner Selbstverständlichkeit.
Als Frauenberatungsstelle möchten wir dazu beitragen, dass jede sexuelle Orientierung mit Freiheit und Freude, statt mit Angst und Scham oder anderen emotionalen Einschränkungen, erlebt werden kann.
Wir legen Wert auf Autonomie
Autonomie bedeutet Freiheit zum Denken:
Autonomie bedeutet, sich den Raum, die Fähigkeit und Möglichkeit zur Reflexion des eigenen Handelns und der sozialen Abhängigkeiten zu erhalten.
Autonomie der Frauenberatungsstelle bedeutet, unsere inhaltliche Ausrichtung, z.B. Frauen in unserer beraterischen und therapeutischen Arbeit entsprechend unseren Grundsätzen nicht auf Opferidenditäten festzulegen, auch in unserer öffentlichen Sichtbarkeit und Selbstdarstellung nicht zu unterlaufen.
Autonomie der Frauenberatungsstelle bedeutet, auch in Kooperation mit einem Geldgeber sich die Freiheit der Entscheidung zu erhalten. Vergleichbar damit, wie wir Klientinnen darin unterstützen, im Dilemma zwischen ökonomischem Bündnis mit dem Ehemann und eigenen Lebensimpulsen nach Integrität und Entwicklung die eigenen Handlungsspielräume nicht zu unterschätzen.
Autonomie der Frauenberatungsstelle bedeutet, nicht zu schnell und unreflektiert unseren (strategischen) Bündnis- und KooperationspartnerInnen gegenüber unsere selbstbestimmte Autorität aufzugeben.
Wir legen Wert auf transkulturelle Kompetenz
Für die psychologische Arbeit mit Frauen aus anderen Kulturen ist es besonders hilfreich, an deren subjektiven oder kulturell geprägten Erfahrungen und seinen Bedeutungen anzusetzen. Westliche Hilfssysteme können dabei nicht als universelle Leitlinien für alle Menschen der Welt angesehen werden. Das erfordert Achtsamkeit und Kreativität im Suchen nach Lösungsmöglichkeiten.
Wir machen die Erfahrung, dass Klientinnen, die aus Kulturen kommen, in der Frauen und Männer sich in eher getrennten Lebenssphären bewegen, sich in Notlagen eher einer Frau als Beraterin zuwenden. Manchmal möchten Migrantinnen sich eher Frauen aus dem gleichen Kulturkreis anvertrauen, manchmal suchen sie aber gerade das Gespräch mit einer Beraterin aus einer anderen Kultur als ihrer eigenen, vorausgesetzt, sie finden eine akzeptierende Grundhaltung und transkulturelle Kompetenz vor. Beides haben wir gelernt.
Als Frauenberatungsstelle sind wir Teil der Gesellschaft. Wir sind nicht nur gefordert, Geschlechterhierarchien und deren Identitätsfestschreibungen zu reflektieren, sondern darin und darüber hinaus auch Herrschaftsverhältnisse zu erkennen, die sich etwa in Privilegien der Mehrheitsgesellschaft mit seinen impliziten rassistischen Selbstverständlichkeiten zeigt.
Diese Auseinandersetzung führte zu dem Entschluss, uns als Team in transkulturellen Kompetenzen fortzubilden und entsprechend das Team mit deutsch-türkischen Frauen zu besetzen.
Transkulturalität bedeutet für uns keine Bewegung zwischen monolithischen Kulturblöcken, die kompetente Vermittler bräuchten (die interkulturellen BeraterInnen), sondern wir sehen darin eher die Begegnung zwischen Menschen aus unterschiedlichen Herkunftskulturen, die mit jedem Kontakt eine neue Ausprägung von Kultur schaffen.
Nicht die Menschen bewegen sich zwischen den Kulturen, sondern die Kultur entsteht zwischen Menschen.
Für die psychologische Arbeit mit Frauen aus anderen Kulturen ist es besonders hilfreich, spezifisch an der subjektiven Erfahrung der Frauen und ihren eigenen (vielleicht kulturell unterschiedlich geprägten) Bedeutung von „Symptomen“ anzusetzen. Westliche Therapie- und Diagnosesysteme sind als Denk- und Lernanregungen nur solange nützlich für Therapien, wenn sie nicht als kontextunabhängige Leitlinien für alle Menschen der Welt angesehen werden. 7
Die TuBF wollte von Anfang an die Vielfalt eines großen Teams nutzen und hat sich seit vielen Jahren auch bewusst um ein heterogen besetztes Team, was z.B. Altersstruktur, sexuelle Orientierung oder kulturellen Hintergrund betraf, bemüht. Nur so konnten wir viel voneinander lernen und ein breites Fach- und Erfahrungsspektrum für unsere Klientinnen anbieten.
Wir legen Wert auf Vernetzung
Natürlich brauchen wir bei den komplexen Lebenswelten der Klientinnen die Vernetzung mit andern Menschen und Institutionen. Im Bereich Transkulturalität, Frauen mit Handicap, Lesbenarbeit oder gesellschaftliche Themen wie Hartz IV sind uns die Auseinandersetzungen wichtig. Die entsprechende Vernetzung ermöglicht gegenseitige Inspiration und fachliche Aufklärung. (vgl. Kapitel „Vernetzung“)
Die besondere Qualität der Beratung von Frauen durch Frauen?
Die Aussage „von Frauen für Frauen“ war schon immer voraussetzungsvoll. In den feministischen Definitionen der 70/80er Jahre fungierte die „eigene Betroffenheit“ als Qualitätsmerkmal, weil sie Authentizität versprach und sich gegen entmündigendes paternalistisches Helfen richtete und die Selbstkompetenz vor Expertendominanz stellte. Dieses Spannungsfeld zwischen „handeln mit“ und „handeln für“ bleibt in der professionell gewordenen Frauenberatung bestehen.
Auch wenn die Beratungsstellen sich heute nicht mehr als Selbsthilfeeinrichtung begreifen, schreibt sich dieser Entstehungshintergrund vielleicht in einem besonderen Bewusstsein darüber fort, dass die, die Schutz oder Unterstützung annehmen, nicht hilflos und unmündig sind und dass die, die Hilfe anbieten, nicht omnipotent und unverletzbar sind.
Was sind erwünschte Wirkungen?
Wir haben nun einige Faktoren aufgezählt, die in unseren Beratungen wirken und möchten Ihnen nun Beispiele geben, was für uns erwünschte Wirkungen sind. Das entscheiden wir natürlich nicht als Beraterinnen alleine, denn es sind die ratsuchenden Frauen, die definieren, was sie sich selbst erhoffen. Allerdings sind wir als Beraterinnen da durchaus nicht neutral und müssen zu einer Übereinkunft an Zielvorstellungen kommen, die wir bereit sind, mitzutragen.
Wir finden unsere Arbeit mit den Klientinnen erfolgreich, wenn beispielsweise folgendes gelingt:
- Wenn sich der Leidensdruck verringert und sich eventuelle Symptome reduziert haben.
- Wenn Klientinnen auf das eigene und das soziale Leben selbstwirksam Einfluss nehmen und eigene (berufliche) Perspektiven entwickeln können.
- Wenn sie ihre eigene Stärke und ihre Verletzlichkeit gleichermaßen anerkennen und ausreichende zwischenmenschliche Beziehungsfähigkeiten leben können.
- Wenn sie sich aus erniedrigenden, gewalttätigen Beziehungsmustern lösen und verabschieden können. Das kann die Trennung von einem gewalttätigen Ehemann sein. Das kann das Verlassen einer Herkunftsfamilie sein, wenn diese die Entwicklung und Lebensfreude der Tochter sabotiert statt sie zu fördern. Das kann die Entscheidung sein, einen Arbeitsplatz aufzugeben, an dem Übergriffe und Ausbeutung geschehen.
- Wenn Frauen in der Lage sind, eigene Gewalterfahrungen nicht an andere, z.B. die Kinder weiterzugeben, und wenn sie sich wirksamer vor Gewalt schützen können.
- Wenn sie an Mut, Zuversicht und Handlungsfähigkeit gewonnen haben, um auch mit individuellen Einschränkungen und Begrenzungen ein sozial anerkanntes und sinnvolles Leben zu führen und tätig zu sein.
Dieses vielschichtige zwischenmenschliche Geschehen, dessen Ergebnisse nicht herstellbar sind, wie beispielsweise bei einem normierten Produkt eines Handwerksprozesses, ist eine lohnende Arbeit, die private und verletzliche Seiten von Klientinnen berührt und die viel mit Vertrauen zu tun hat, das dabei entsteht.
© Marita Blauth, TuBF Frauenberatung Bonn, November 2014
1 Vier Diplom-Psychologinnen (Psychologische Psychotherapeutinnen), eine Diplom- Pädagogin, eine Diplom Sozialpädagogin, alle mit therapeutischen Zusatzausbildungen ( Traumatherapiemethoden PITT, Somatic Experiencingund TRIMB; Psychodrama; Focusing; Verhaltenstherapie; Gestalttherapie; Shiatsu) Darüber hinaus bilden pädagogische, theologische und heilpraktische Disziplinen weitere fachliche Grundlagen
2 „Die 4 B’s der Resilienzförderung: Bindung, Bildung, Bewußtsein für Selbstwirksamkeit und Bausteine guter Erinnerungen.“ Aus: Handbuch Resilienzförderung, Hg: Margherita Zander. VS Verlag 2011, S. 583
3 Existenzsichernde Versorgung, Wohnraum, Teilhabe an Bildung, Kultur, Medien, Mobilität
4 „Mehrere DiskussionsteilnehmerInnen empfanden die erstmalige Nennung einer Diagnose in Bezug auf einige ihrer Schwierigkeiten als sehr erleichternd, weil ihnen dies das Gefühl gab, ihren Problemen nicht mehr im gleichen Maße ausgeliefert zu sein.(…) Die Diagnose beinhaltet auch die Hoffnung, diese Probleme bewältigen zu können, und vermittelte einigen Teilnehmenden das Gefühl, mit dem Problem nicht allein zu sein.“ (In: Auf der Suche nach dem Rosengarten. Ein Reader zur internationalen Antipsychiatrie-Konferenz vom 1-3.9.2011 in Berlin, S. 141)
5 Gewalt meint hier nicht nur psychische und körperliche Gewalt, sondern alle gesellschaftlichen Strukturen und Diskurse, die sich mit Normierung, Ausgrenzung, Herabwürdigung und Entmündigung Definitionsmacht anmaßen über lebenswertes, nicht der Norm entsprechendes Leben.
6 vergl. „Auf der Suche nach dem Rosengarten“, Doku des Fachtages für Psychiatrie-Betroffene 2011 in Berlin
7 Die internationale Masseinheit für Krankheit ist DALY: Disability-Adjusted Life Year. Dieses Erfassungs- und Berechungsinstrument geht davon aus, dass die Belastung durch eine bestimmte Krankheit oder einen bestimmten Unfall überall auf der Welt dieselbe ist und ignoriert komplett länder- und kulturspezifische Unterschiede.