GIngkoblätter

Was ist eigentlich Therapie in der TuBF?

2020

Therapie kann heilsam sein, weil sich hier zwei Menschen begegnen. Der eine Mensch, die Klient*in, ist zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens in Not oder hat Fragen und Probleme und möchte, dass sich etwas ändert. Der andere Mensch, die Therapeut*in, kann mit Ihrer Ausbildung und ihren Kompetenzen die Klient*in unterstützen. Das ist der Anfang.

Die TuBF ist eine Beratungsstelle für Frauen* 1 und Teil des psycho-sozialen Netzwerkes in Bonn.

Wenn es um aktuelle Krisen oder um die Folgen von früheren seelischen Verletzungen geht – TuBF-Mitarbeiter*innen sind Ansprechpartner*innen.

In der TuBF können Frauen* Beratung und längerfristige psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen. Sie finden über unsere Webseite oder persönliche Empfehlungen zu uns oder werden innerhalb des Hilfesystems auch an die TuBF vermittelt.

Beratung und Therapie in der TuBF werden von ausgebildeten und erfahrenen Therapeut*innen ausgeübt und unterliegen selbstverständlich den Prinzipien der Freiwilligkeit und Verschwiegenheit, auch den vermittelnden Institutionen wie z.B. dem Jobcenter gegenüber.

Bereits von Anfang an schauen wir als Therapeutinnen immer mit einem offenen Blick.

Wir schauen auf die Probleme, auf Einschränkungen und Belastungen und sind bereit, genau hinzusehen und die Schwierigkeiten ernst zu nehmen.

Und wir weiten unseren Blick und schauen auf das, was bisher geholfen hat und aktuell helfen kann: auf hilfreiche Personen, ermutigende Erfahrungen, eigene, soziale, kulturelle oder universelle Kraftquellen, auf kreative Lösungsimpulse, gute Wünsche, Stärken und Überlebensstrategien.

Mit diesem offenen Blick hat die Auseinandersetzung mit schweren Themen oder das Verarbeiten von Schicksalsschlägen und Gewalterfahrungen einen sicheren Boden.

Das gesellschaftliche Haus

In der praktischen Arbeit wird deutlich, dass das, was Probleme macht, nicht nur individuell ist, sondern immer auch zwischenmenschliche Seiten hat. Kein Mensch wird mit Problemen geboren, sondern sie entstehen im Laufe unseres Zusammenlebens.

Das bedeutet:

Wir Menschen als freie Wesen erfinden uns zuweilen immer wieder aus uns selbst heraus neu. Gleichzeitig sind wir Menschen soziale Wesen, die einander brauchen. Wir entwickeln uns im Austausch und unter dem Einfluss anderer Menschen.

Aber nicht nur der direkte Einfluss anderer Menschen wirkt auf uns, sondern es wirkt auch etwas auf uns, was nicht so leicht zu erfassen ist. Vielleicht können wir uns dieses „etwas“ vorstellen, wie den Rahmen eines Bildes. Ein Bild, das zum Beispiel in einem dicken roten Rahmen aufgehängt wurde, wirkt anders auf uns, als wenn der Rahmen dünn und zart blau ist. Oder: Eine Landschaft, die uns karg und farblos umgibt, löst andere Empfindungen in uns aus, als eine Landschaft, die sich mit sanften Hügeln, grünen Bäumen und bunten Blumen um uns ausbreitet.

Und so wie der Rahmen eines Bildes oder die landschaftliche Umgebung unterschiedlich auf uns wirkt, so wirkt die Gesellschaft als Rahmen auch auf uns als Individuum und wie wir uns gegenseitig wahrnehmen. Gesellschaft meint das, was Menschen zusammen aufgebaut haben, um miteinander auf der Erde zu leben. So wie ein Haus gebaut wird, um zusammen darin zu wohnen, so bauen wir das gesellschaftliche „Haus“, um zusammen zu leben.

Im gesellschaftlichen „Haus“ spielt es eine große Rolle, wie die Regeln des Zusammenlebens sind.

Diese Regeln können z.B. unsere Gesetze sein, die wir nachlesen können. Aber es können auch verborgene Regeln sein wie Gewohnheiten, Vorstellungen, Absprachen, Vorurteile und Erwartungen. Diese Rahmenbedingungen, diese Strukturen unserer Gesellschaft, sind vielfältig und machen viel Arbeit:

Wir müssen uns verständigen über Regeln der Höflichkeit, über unsere Werte, mit denen wir beurteilen, ob Recht oder Unrecht geschieht, über das, was erlaubt oder unerwünscht ist, über das, was wir für normal und außergewöhnlich halten, usw..

Gesetze, Regeln und Normen sind wie die Rahmen, die unsere persönliche Entwicklung mit beeinflussen.

Das Erstaunliche daran ist, dass wir Menschen dieses Haus, unsere Regeln des Zusammenlebens, selbst bauen. Es ist ja nicht vom Himmel gefallen. Wir bauen es aber nicht von Anfang an mit, denn als wir geboren wurden, gab es die Welt schon. Die haben andere für uns gebaut. Wir lernen also zuerst einmal die Regeln, um uns in der Welt bewegen zu können. Das ist wichtig, um uns sicher zu fühlen und uns zurechtzufinden. Wenn wir in Gemeinschaften hineinwachsen, sind wir zunehmend in der Lage, die Regeln dieser Gemeinschaften in Frage zu stellen, weiterzuentwickeln und über neue Regeln mit den Mitmenschen zu verhandeln. Also kann sich eine Gesellschaft zum Glück auch verändern.

Dieser Prozess des Lernens und Veränderns kann sich sehr kompliziert anfühlen, weil so vieles gleichzeitig geschieht. Wir brauchen auch als Erwachsene sowohl soziale Anerkennung als auch persönliche Unabhängigkeit. Wir brauchen die Sicherheit liebevoller Zuwendung durch andere Menschen und gleichzeitig die Fähigkeit, mit Menschen zu streiten, uns vor Gewalt zu schützen und eigene Interessen zu erkennen und zu vertreten.

So kann es uns manchmal schwer fallen, eigene Bedürfnisse von den Bedürfnissen der Freund*innen oder Partner*innen zu unterscheiden. Manchmal ist es auch schwer herauszufinden, wie viel Kontakt mit anderen und wie viel Zeit für uns selbst wir brauchen, um uns gut zu fühlen.

Unser Bedürfnis, dazuzugehören und geachtet zu werden, wird dann verletzt, wenn wir so behandelt werden, als kämen wir von woanders, als gehörten wir nicht selbstverständlich dazu oder sogar, als seien wir weniger wert. Wenn so etwas geschieht, kann das traurig oder wütend machen. Es kann dazu führen, dass wir uns zurückziehen oder dass wir mit enormer Kraft um Anerkennung oder Anpassung ringen. Es kann dazu führen zu fragen, warum das so ist. Und es gibt keine leichten Antworten auf diese Frage. Denn Menschen haben nicht nur das Bedürfnis dazuzugehören, sondern auch, sich zu unterscheiden, etwas Besonderes zu sein.

Je nachdem, wie wir aufgewachsen sind, entwickelt sich die Fähigkeit, sich selbst zu mögen oder mit Unterschieden zwischen Menschen umzugehen, mal besser mal schlechter. Welche Rolle Unterschiede zwischen Menschen spielen hängt davon ab, welche Bedeutung wir den Unterschieden geben. Ob Körpergröße oder Haarfarbe wichtig dafür sind, wie wir miteinander umgehen, entscheiden wir selten alleine, sondern es wirkt der Rahmen dieses gesellschaftlichen „Hauses“ und die Menschen, die darin leben. Unterschiede werden im Zusammenleben unterschiedlich bewertet. Ob eine Person braune oder blonde Haare hat, mag normalerweise nicht wichtig sein. Wenn jedoch die Haarfarbe vollgepackt wurde mit Bedeutung, wird sie plötzlich wichtig und verändert das Leben.

Weil es für die meisten Menschen wichtig ist, sowohl dazuzugehören, als auch etwas Besonderes zu sein, spielen Unterscheidungen und Bewertungen eine so wichtige Rolle in einer Gesellschaft. Manchmal werden Unterschiede einfach akzeptiert. Manchmal geschätzt. Manchmal werden sie benutzt, um andere abzuwerten und sich selbst besser zu fühlen.

Manchmal werden Unterschiede, bzw. die Bedeutungen der Unterschiede konstruiert, also erfunden, um ganze Gruppen von Menschen abwerten und ausbeuten zu können.

Solche Entwicklungen haben meistens eine lange Geschichte und das Durchsetzen dieser Bedeutungen geschieht oft mit Gewalt.

In der Entwicklung von Rassismus z.B. wurde ein willkürliches unklares Unterscheidungsmerkmal, das als „andere Hautfarbe“ deklariert wurde, so mit bestimmten Bedeutungen vollgepackt, um eine große Anzahl sehr unterschiedlicher Menschen als völlig unterscheidungslose Masse hinzustellen. Auf diese Weise wurden und werden Menschen Individualität, Rechte und Menschenwürde abgesprochen. Respektlosigkeit und Gewalt gegenüber Menschen werden auf diese Weise ermöglicht und geduldet. Wenn wir über diese Bedeutungszuschreibung nicht nachdenken, ist die Gefahr groß, dass wir Abwertung und Vorurteile als „normal“ erleben und nicht bemerken, was da geschieht, also auch nicht eingreifen oder verändern. Für von Rassismus betroffene Menschen ist das anstrengend, macht Stress, traurig oder wütend.

Auch andere Mechanismen der Unterscheidung oder der Bedeutung von Unterschieden wirken auf uns. Menschen mit weniger Schulbildung können von denen mit mehr Schulbildung für dumm gehalten werden. Oder Jungen und Mädchen erfahren nur dann Anerkennung, wenn sie sich den Medienbildern von männlich / weiblich anpassen.  Oder eigene körperliche Erscheinungsformen werden von Anderen abgewertet. Manchmal ist das Verletzende daran nur untergründig zu spüren, als ob etwas nicht stimmt. Oft denken wir dann, wir selbst seien irgendwie falsch.

In der Therapie schauen wir neben der unverwechselbaren Besonderheit und Individualität von Menschen auch auf den Rahmen, auf die Gesellschaft. Wir können so persönliche Probleme besser verstehen und wirksamere Veränderungen ermöglichen.

Was ist eine therapeutische Beziehung?

Therapie kann heilsam sein, weil sich hier zwei Menschen begegnen. Der eine Mensch, die Klient*in, ist zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens in Not oder hat Fragen und Probleme und möchte, dass sich etwas ändert. Der andere Mensch, die Therapeut*in, hat eine Ausbildung und Erfahrung, um die Klient*in zu unterstützen. Das ist der Anfang.

Beide, die Klient*in und die Therapeut*in begegnen sich jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern in einem Raum dieses gesellschaftlichen „Hauses“. Sie bringen beide ihre Lebenserfahrung, ihre Werte und Ansichten mit. Damit diese Begegnung nun gelingen soll, braucht es auf beiden Seiten die Bereitschaft, miteinander respektvoll in Kontakt zu treten.

Zu Beginn wird gemeinsam besprochen, was die Klient*in sich wünscht, vorstellt, erwartet, worunter sie leidet und was sie schon selbst und mit anderen Menschen zusammen geschafft und erreicht hat. Die Therapeut*in erklärt ihre Methode, ihren Erfahrungshintergrund und die fachlichen Möglichkeiten und Grenzen ihrer Arbeit. Dann kann, ein gerüttelt Maß an gegenseitiger Sympathie vorausgesetzt, die Zusammenarbeit beginnen.

Um ein Verständnis für aktuelle Krisen entwickeln zu können, ist es oft von großem Wert, etwas über die Geschichte der Klient*in, ihre Biographie, ihr soziales und kulturelles Umfeld und ihre Bindungen an wichtige Menschen kennenzulernen. Hier können – neben dem Gespräch – auch bereits kreative Methoden (z.B. Lebenslinien mit Stolpersteinen legen oder Ähnliches) eingesetzt werden, wenn das die Kommunikation erleichtert und Spaß macht.

Die Therapeut*in setzt dann für die weitere Zusammenarbeit ihre berufliche Kompetenz, ihre Methoden und ihre Erfahrung ein, um hilfreich wirken zu können. Sie trägt die Verantwortung für den Verlauf der Therapie und bespricht ihre Arbeit mit Kolleg*innen der Beratungsstelle. Die Klient*in trägt die Verantwortung für sich selbst und setzt ihre Fähigkeiten ein, um die Therapie mitzugestalten.

Methoden

In der Therapie sprechen zwei Menschen miteinander. Dabei sitzen sich die Therapeut*in und die Klient*in in der Regel gegenüber, wenn sie miteinander sprechen. Zuweilen schweigen sie auch mal zusammen. Wie dann die einzelnen Therapiestunden ablaufen, kann ganz unterschiedlich aussehen.

Manchmal wird nicht nur den Worten der Klient*in Bedeutung geschenkt, sondern auch anderen Ausdrucksformen. So kann z.B. die Wahrnehmung des Körpers hilfreich sein, denn wenn wir lachen oder weinen, lacht oder weint der Körper mit. Oder die Füße erzählen sich zuweilen Geschichten, die gehört werden wollen. Oder es ist einfacher, Erlebnisse aufzumalen, um sie mal anders betrachten zu können. Manchmal ist es hilfreich, beim Nachdenken im Raum herumzulaufen und manchmal tut es gut, mal den Kopf hängen lassen zu können, um zu spüren, wie anstrengend sich gerade alles anfühlt. Manchmal können Probleme auch mit kleinen Gegenständen dargestellt werden, um sie besser oder einfach mal anders zu verstehen. Manchmal hilft es, auf einen kleinen Hocker zu steigen, um sich auch innerlich größer zu fühlen. Manchmal können Bilder von der Klient*in ausgesucht werden, die vielleicht gerade besser als Worte etwas zeigen, was wichtig ist. Manchmal können innere Bilder ausgedacht werden, die hilfreiche Unterstützung werden können. Manchmal tut es gut, die eigene Atembewegung zu spüren, um sich lebendig zu fühlen. Manchmal bringen Klient*innen Bilder von sich mit, als sie jünger waren und ein Dialog zwischen der alten und der jungen Figur kann sinnvoll wirken.

Jede Therapeut*in hat ihre ganz eigene Art, mit der sie die Therapiestunden gestaltet.

Manchmal tauchen auch in der Therapie große Fragen auf.

Jedes Leben ist anders. Jeder Mensch unterscheidet sich von einem anderen Menschen. Insofern ist jeder Mensch etwas Besonderes und Einzigartiges. Doch es gibt etwas, was Menschen miteinander verbindet. Was kann das sein? Sind es Bedürfnisse, wie etwa die nach Nahrung? Ist es die Gewissheit, dass wir alle geboren wurden und alle sterben werden? Manchmal sind es Grenzerfahrungen wie der Tod eines nahen Menschen oder eigene Verletzung oder Erkrankung, die solche großen Themen berühren.

Manchmal braucht die Klient*in Mut, um etwas neu zu betrachten oder etwas Anderes als sonst auszuprobieren. Aber immer entscheidet die Klient*in, ob sie das will. Niemals geschieht in der Therapie etwas über ihren Kopf hinweg. 2

Therapie ist Zusammenarbeit. Deshalb ist es wichtig, bei der Suche nach einer Therapeut*in darauf zu achten, dass sowohl die Personen als auch die Methoden zueinander passen.

Therapie braucht Sicherheit

Menschen brauchen, um Krankheiten zu bewältigen und persönliche, familiäre und berufliche Herausforderungen gut zu meistern, auch äußere Sicherheiten wie Wohnung, Einkommen, Freiheit von Gewalt.

Wenn viel davon fehlt, können persönliche und berufliche Krisen weniger gut bewältigt werden. Psychologische Beratung und Therapie sind mögliche Hilfsmittel zur Unterstützung, um mit sich und der Welt verbunden und handlungsfähig zu bleiben. Therapeut*innen können hier stabilisierend wirken und Alltagskompetenzen fördern. Wenn ausreichende äußere Sicherheiten vorhanden sind, ist mehr Raum da, um sich auch den verborgen wirkenden inneren Nöten zuwenden.

Therapie braucht also:

Auf Seiten von Therapeut*innen z.B. gute Ausbildungen, Kompetenzen und Erfahrungen, supervisorische Begleitung und kollegialer Austausch sowie einen vielfältigen Blick auf das Leben und die Welt der Klientin. Auf Seiten der Klient*in z.B. eigene Motivation und Freiwilligkeit.

Wenn das gesellschaftliche „Haus“ z.B. bezahlbaren und heizbaren Wohnraum, ausreichenden Lebensunterhalt, sichere menschliche Bindungen, gesellschaftliche Gerechtigkeit und Teilhabe, sowie Freiheit von Gewalt bereitstellen kann – dann braucht es vielleicht weniger Therapie?

Wunder geschehen. Manchmal.

Leise wie ein Vogel…

Marita Blauth – TuBF Frauenberatung Bonn – Juli 2020


1  das Sternchen* bei Frauen ist ein Zeichen des Respekts, den wir den Menschen entgegenbringen, für die „Frau“ keine eindeutige Definition ist oder die sich nicht in einer binär erklärten Welt wiederfinden.

2 Außer bei Selbst- und Fremdgefährdung.