„Roter Faden in Orange“
2024Zu Beginn zitierte Carla Hilde Domin: „Ich setzte meinen Fuß in die Luft und sie trug“. Ein Gedanke von einem Abend, der nachklingt. Carla Moschner las und sprach Gedichte und Slamtexte von Geschichten zwischen Mut und Verzweiflung. Und damit entstand ein Raum, der so lange fehlte.
Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, Mädchen und INTA+, den 25. November veranstaltete die TuBF gemeinsam mit FIBEr e.V. ein Literaturcafé unter dem Motto „Roter Faden in Orange“. Die Farbe symbolisiert dabei eine Zukunft ohne patriarchalische Gewalt, der Wertvorstellungen zugrunde liegen, die von einer Gesellschaftsordnung ausgehen, in der „Geschlecht“ zweigeteilt ist und in der einem der beiden Geschlechter eine bevorzugte Stellung zuerkannt wird – dem männlichen. Ohne diese Gewalt, die, wie der kürzlich erschienene Bundeslagebericht, fast täglich einer Frau oder einem Mädchen ihr Leben kostet. Alle drei Minuten erlebt eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland häusliche Gewalt. Täglich werden mehr als 140 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer einer Sexualstraftat, die Hälfte von ihnen sind minderjährig. Im Januar 2025 wird mit Donald Trump ein verurteilter Sexualstraftäter Präsident in einem der mächtigsten Staaten weltweit. Das sind zuweilen düstere Aussichten, an diesem Abend aber stand die Hoffnung im Vordergrund. Die Veranstaltung war ausgebucht und in dem gemütlichen B.O.B. Café saßen über vierzig Personen. Es gab Kaffee und Kuchen und es war warm, während es draußen regnete. Die Gäste unterhielten sich angeregt, mitunter brachten die „Konversationsgläser“ mit Gesprächszetteln auch unbekannte Sitznachbarinnen und Sitznachbarn zusammen. Dilara Köse, Psychologin und Therapeutin in der TuBF, führte das Publikum durch den Abend.
Carla Moschner schreibt literarisch und studiert Theorien und Praktiken des professionellen Schreibens an der Universität zu Köln. Mit sechzehn Jahren performte Carla das erste Mal auf der Bühne und veröffentlichte auch verschiedene Texte im Rahmen von Ausstellungen wie TRANSFORMATIONEN und Voices of Rebellion. Carla lebt in Bonn, ist genderqueer und unter anderem begeistert von Tofu, Tanz und Thymian. In Gedichten, Kurzprosa und Slamtexten verhandelt Carla jene Held:innen, die meist im Verborgenen bleiben. Es geht um stets gepackte Rucksäcke und Züge, die Abstand schaffen zu einer Stadt, die mit so viel Schmerz verbunden ist. Es geht um Kims Leben in einer Streichholzschachtel, Boomboxglitzer und verlorenen Landkarten. Es geht um tiefen Schmerz und darum, dass ein Haus ohne Zuflucht kein Zuhause ist. Es geht auch um Geld. Eine der Figuren, von denen Carla erzählt, habe keinen Cent in ihrem Namen gehabt, sei Geld doch immer Männersache gewesen. Ein orangener Hoffnungsfaden zieht sich durch die Geschichten, viele Personen aus den Geschichten schaffen es aus der Gewalt.
Es sitzen auch, betont Carla, symbolisch weitere Personen mit im Raum, die es nicht herausgeschafft oder sich selbst noch nicht entscheiden konnten zu gehen. Damit einher geht ein Appell, sich auch bei denen zu melden, von denen man lange nichts gehört hat. Denn oft sind die stillsten Stimmen jene, die am meisten Hilfe brauchen. Carlas Worte berühren und schwingen nach, zwischenzeitlich schmerzen sie auch ein wenig – und verlieren doch nie die Richtung. Denn Carla personifiziert auf der Bühne all jene, die weniger gehört werden. Zwischendurch teilt Carla aber auch, was Carla selbst guttut. Aktuell seien das Mangostreifen und Khaki, manchmal helfe es aber auch, ein paar Seifenblasen in die Luft zu pusten. Carlas Geschichten drücken auch Wut aus. Wut darüber, das Erlebte niemals anzeigen zu können, weil man weiß, dass man vor Gericht keine Chancen hat. Wut über die unglaublich langen Wartezeiten auf Therapieplätze, die sich häufig mehr als ein Jahr ziehen. Carla empfiehlt, gemeinsam mit Dilara, Selbsthilfegruppen als einen sinnvollen Startpunkt, um die lange Wartezeit auf einen Therapieplatz zu überbrücken. Das schaffe Rückhalt und das Gefühl, nicht allein zu sein. Es geht viel um dieses Gefühl: Erlebtes zu teilen und füreinander da zu sein. Ein Stück weit war auch die Veranstaltung ein Ort, um füreinander da zu sein. Und die Hoffnung von Carla zu spüren, deren Zug auf das Bahngleis rollte und Carla mit auf die andere Seite nahm, in ein neues Leben.
Es gehört viel Mut dazu, seine eigenen Geschichten mit fremden Menschen zu teilen. Dafür erhält Carla viel Zuspruch. „Ich höre dich. Zeitgleich ist alles scheiße und alles okay“, sagt Carla – und erinnert uns daran, wieviel Zeit im Heilen steckt. Und wieviel mehr Veränderung wir bewirken können, wenn wir zuhören.
Siehe auch:
„Gewaltschutz kostet Geld und rettet Leben“
Bundesweite Kampagne der Autonomen Frauenhäuser
Brandbrief: Stoppt Gewalt gegen Frauen – JETZT!
Petition des Deutschen Frauenrats und UN Women Deutschland e.V.