Blüte mit Tau

Ressourcenorientierter Ansatz in der Traumatherapie

2006

Traumatische Prozesse können sich anfühlen wie ganz und gar aus dem Vertrauten und Eigenen herausgefallen zu sein. Hilfreich in solchen schweren Zeiten ist oftmals nicht die „Vertröstung“ auf bessere Zeiten oder die zynisch anmutende Aufforderung zum „Positiven denken“, sondern das Da-sein, das Dabei-sein von vertrauten Menschen.


Es war einmal ein Kind und hat kei
Vater und kei Mutter, war alles tot
und war niemand  mehr auf der Welt. Alles
tot, und es ist hingangen und hat
greint Tag und Nacht. Und weil auf
der Erd niemand mehr war, wollt’s in
Himmel gehn, und der Mond guckt es
so freundlich an und wie’s endlich zum
Mond kam, war’s ein Stück faul Holz
und da ist es zur Sonn gangen und
wie’s zur Sonn kam, war’s ein verreckt
Sonneblum und wie’s zu den Sternen
kam, waren’s klei goldne Mück, die
waren angesteckt wie der Neuntöter
sie auf die Schlehe steckt und wie’s
wieder auf die Erd wollt, war die Erd
ein umgestürzter Hafen und war ganz
allein und da hat sich’s hingesetzt und
geweint und da sitzt es noch und ist
ganz allein.

Georg Büchner

Georg Büchner, Schriftsteller und Revolutionär des 19. Jhrd. stellt hier auf poetische Weise einen Zustand dar, der große Ähnlichkeit hat mit Beschreibungen von Klientinnen über die Wirkung eines unbewältigten Traumas. Das kann sich anfühlen wie ganz und gar aus dem Vertrauten und Eigenen herausgefallen  zu sein.

So oder ähnlich mögen sich manche Stunden oder Zeiten anfühlen, wenn Trauer, Schmerz, Angst oder Verzweiflung Menschen in Lebenskrisen oder chronischen Erkrankungen  ergreifen und angreifen.

Hilfreich in solchen schweren Zeiten ist oftmals nicht die „Vertröstung“ auf besserer  Zeiten oder die zynisch anmutende Aufforderung zum „Positiven denken“, sondern das da-sein, das dabei sein von vertrauten Menschen. Der Kontakt zu Menschen, die einfach nur präsent sein können (ohne helfen zu wollen, ohne mitzuleiden), die mitfühlend akzeptieren, dass es in diesem Moment so ist, wie es ist, solch ein Kontakt ist sehr kostbar. Und wenn es Menschen gibt, die bereit und fähig sind, ein Quentchen der Last mitzutragen, ZeugIn  zu sein, zuzuhören, sich berühren zu lassen, kann das trösten und heilen helfen.

Wenn diese Unterstützung fehlt, ist es gut zu lernen, wie Menschen sich selbst trösten können.

Ressourcenorientierte Therapie, wie  sie in der  TuBF praktiziert wird, bietet dabei Unterstützung an.

Luise Reddemann , Psychotherapeutin und Autorin, schlägt dazu beispielsweise vor:

„Mit sich selber liebevoll sein, sich vorstellen, wie man sich selbst in den Arm nimmt. Also ich, die Frau von heute nimmt ihr einen Tag jüngeres Ich in den Arm und sagt ihr: es war wirklich grauenhaft und jetzt nehme ich dich sozusagen in den Arm und bin einfach bei dir. Das hat Wirkung, das sind einfache Bilder, die sind unglaublich wirksam. Das kann jeder ausprobieren, das muss man nicht glauben, das kann man einfach ausprobieren, wie das ist, wenn man sich das vorstellt.“ 1

Neben dem Aufbau von inneren und äußeren Stabilisierungen bedeutet Traumatherapie für Klientinnen und Therapeutinnen das Erarbeiten  / sich einlassen auf einen achtsamen, respektvollen  und tragenden  Kontakt, auf eine Beziehung, die für Klientinnen (Wieder-) Erfahren und (Wieder-) Erkennen von Sicherheit, Vertrauen  und Orientierung ermöglicht. Und  die Bereitschaft der  Therapeutin, ihre therapeutische Kompetenz und Lebenserfahrung zu nutzen, um in kontrollierter und verkraftbarer Weise den erlebten Schrecken der Klientin zu teilen, zu betrachten und zu verarbeiten oder in den Hintergrund treten zu lassen. So können in einem gemeinsamen schöpferischen Prozess Energien freigesetzt werden, die der Klientin (wieder) Perspektiven für die eigenmächtige Gestaltung ihres Lebens eröffnen.

Unserer Erfahrung nach ist es nicht zu unterschätzen, welche gesellschaftlichen Heilungskomponente die Therapieprozesse unterstützen. Das sind z.B. solche Faktoren wie einen Job zu haben, wenn möglich eine Tätigkeit, die als sinnvoll erlebt wird, ein gutes Betriebsklima und Strukturen, die menschenfreundlich sind. Das ist auch die Einhaltung des  Gewaltschutzgesetzes durch fähige BeamtInnen. Das ist die Unterstützung von Angehörigen und FreundInnen bei der Entscheidung zur Trennung und dem Beenden eines Gewaltverhältnisses und die Positionierung des sozialen Umfeldes oder der Anwältin, Unrecht zu benennen und dabei zu begleiten, es nicht mehr länger hinzunehmen. Bei anhaltenden Vernachlässigungen oder extremer Gewalt ist das Zusprechen einer Existenzberechtigung durch eine „Institution“ wie der Beratungsstelle oder anderer Einrichtungen hilfreich dabei, Recht und Unrecht unterscheiden zu lernen, Vertrauen  und Verantwortung zu erleben und zu übernehmen. Ein sicherer Aufenthaltsstatus bietet für Migrantinnen ein enormes Heilungspotential. Eine richterliche Anerkennung von Unrecht oder die Zahlung von Schmerzensgeld ist oftmals hilfreich für einen Prozess, den freudvollen Lebensimpulsen wieder Raum geben zu können. Berufliche Anerkennung ist ein immenser Stabilisierungsfaktor, der persönliche  Krisen bewältigen hilft. Viel heilsames Potential liegt auch in der kulturellen Verarbeitungen von vormals tabuisierten Themen. z.B. Filme, Bücher über Abtreibung, künstl. Befruchtung, sexualisierte Gewalt, Flucht- und Heimatverlust im „Dritten Reich“, oder über alternative Lebenskonzepte wie Lesbische Liebe, freiwillige Kinderlosigkeit, oder anderes. Auch die Aufweichung gesellschaftlich-ideologischer Polarisierungen zwischen Ost/West, Gut/Böse, Mann/Frau, Opfer/Täter fördern Lern- und Heilungsprozesse. Es ist täglich erlebbar, dass eine ausreichende  Grundversorgung auf allen Ebenen der größte Heilungsfaktor ist.

Manchmal erleben Klientinnen eine entlastende und damit stabilisierende Funktion in einem Aha-Erlebnis, wenn sie erkennen, dass nicht sie selbst „falsch“ sind, sondern dass es gesellschaftliche Bedingungen gibt, die auch andere Menschen überfordern. Erwerbslosigkeit, unbefriedigende Jobs, schlechte Beziehungen, Alleinerziehende- oder  Pflegeverantwortung, Rassismus, Frauenabwertung, sexualisierende Bemerkungen sind Belastungsfaktoren, die viel stärkende Gegengewichte brauchen.

Ressourcenorientierung in den Therapien bedeutet auch, diese „Gegengewichte“ zu finden und zu stärken. Warum? Um nicht daran zu verzweifeln und damit diese Belastungen in der Wahrnehmung gehalten, ausgehalten, beeinflusst oder verändert werden können; um handlungsfähig zu bleiben.

Es geht dabei nicht, wie es in den 80er Jahren z. T. diskutiert wurde darum, ob der individuellen psychologischen Hilfeleistung oder der gesellschaftspolitischen Veränderung Priorität eingeräumt werden soll. Es geht darum, dass die Kontextorientierung erst sinnvolle Therapie ermöglicht – oder auch Grenzen der therapeutischen Möglichkeiten aufzeigt.

2006


Georg Büchner wurde 1813 in Goddelau bei Darmstadt geboren. Er studierte Medizin, Naturwissenschaften, Geschichte und Philosophie. In Gießen schloß er sich der radikalen Freiheitsbewegung an und gründete 1834 die „Gesellschaft für Menschenrechte“, um die reaktionären Verhältnisse in Hessen zu ändern. 1835 floh er wegen seiner politischen Flugschrift „Der Hessische Landbote“(Friede den Hütten! Krieg den Palästen!). Georg Büchner starb 1837 in Zürich.

1 Wieder zu sich finden  Über die heilende Kraft des Trostes Sendung: 27.11.2005,12.05 Uhr, SWR2

Autorin:Lisa Laurenz       Redaktion: Petra Pfeiffer