NRW vernetzt sich: Besserer Gewaltschutz für Frauen und Mädchen mit Behinderung

2024

Noch immer sind Frauen und Mädchen mit Behinderung deutlich mehr von Gewalt betroffen als Frauen ohne Behinderung, haben aber kaum Zugang zu Schutz und Hilfe.  Am 2. Juli 2024 kamen über 300 Personen aus verschiedenen Anlaufstellen aus NRW digital zusammen, um ebendiese Schutzlücke für Frauen mit Behinderung weiter zu schließen. 

Eingeladen hatten das NetzwerkBüro Frauen und Mädchen mit Behinderung/chronischer Erkrankung NRW sowie das Netzwerk Gewaltschutz inklusiv. Planung und Umsetzung der Veranstaltung lagen im Projekt „Sicher, Stark und Selbstbestimmt – vernetzt!“, das seit drei Jahren die Arbeit von Werkstatt-Frauenbeauftragten als Peer-Berater*innen im Gewaltschutz unterstützt, besonders durch inklusive Vernetzungs- und Fachveranstaltungen.

Digital und inklusiv, landesweit und in regionalen Gruppen vernetzt – dieses Konzept ging für die Veranstalter*innen voll auf: 300 Teilnehmende, 18 Arbeitsgruppen und 780 Wortbeiträge im digitalen Chat zeigten, wie lebhaft, interaktiv und zugleich inklusiv eine digitale Veranstaltung sein kann.

Abbild der Beratungslandschaft und regionale Bezüge

Die Vernetzungsveranstaltung war nicht nur ausgebucht, sondern brachte auch einen breiten Kreis von Akteur*innen zusammen. Neben Frauenhäusern, Frauenberatungsstellen, Migrationsberatung, Gleichstellungs- und Inklusionsbeauftragten waren auch viele der gewählten Frauen*beauftragten aus „Werkstätten für behinderte Menschen“ vertreten. Die 18 regional besetzten Arbeitskreise ermöglichten Kennenlernen und Vernetzung in der Region.

Über 30 Anlaufstellen aus dem Köln Bonner Raum haben beispielsweise an dieser Vernetzungstagung teilgenommen, sodass für diese Region gleich mehrere Arbeitsgruppen gebildet werden mussten, um einen Austausch innerhalb dieser Region zu ermöglichen. Auch die TuBF Frauen*beratung, vertreten durch Ayfer Avci, erklärte als Teilnehmerin einer Arbeitsgruppe, dass sie in Kontakt mit neuen Anlaufstellen aus ihrer Region gekommen sei und neue Impulse für ihre Arbeit mitnehmen konnte.

Inhaltliche Schwerpunkte

Im Mittelpunkt standen Barrieren im Gewaltschutz sowie Möglichkeiten, diese abzubauen oder durch Vernetzung auszugleichen. Im Vorfeld erhielten alle Teilnehmenden einen speziell erarbeiteten Fragebogen zur Prüfung der Barrieren innerhalb ihrer eigenen Anlaufstelle. Für manche war dies ein Einstieg in das Thema Barrierefreiheit, aber auch erfahrene Anlaufstellen wie die Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsstellen (kurz: KoKoBe) aus dem Rheinland, welche sich speziell an Menschen mit Lernschwierigkeiten richten, konnten Verbesserungsmöglichkeiten feststellen. Auch anwesende Werkstatt-Frauenbeauftragte berichteten von Barrieren in ihren eigenen Werkstätten.

Nicht nur bauliche Barrieren wurden angesprochen, sondern auch Hindernisse in der Bereitstellung von Informationen in Broschüren oder auf Websites. Die gesamte Veranstaltung wurde in einfacher Sprache durchgeführt: von der Einladung und dem Vorbereitungsmaterial bis hin zu den Vorträgen und zur Moderation.

Zufriedene Veranstalter*innen

Elena Doudis und Ronja Runge vom Projekt „SiStaS – vernetzt!“, noch überwältigt von den positiven Rückmeldungen zum inklusiven Charakter der Veranstaltung, zeigten sich besonders zufrieden über die rege Beteiligung der Frauen*beauftragten: „Wir kennen manche Frauenbeauftragte schon seit Jahren, investieren viel Energie in gute Rahmenbeziehungen und erleben die Veränderungen. Manche Frauen trauten sich früher nicht einmal im kleinen Kreis zu sprechen. Wenn sie heute ganz selbstverständlich bei einer so großen Veranstaltung ihre Meinung sagen, sehen wir das auch als einen Erfolg unserer Arbeit.“

Ayfer Avci von der Bonner Frauen*beratungsstelle TuBF und Mitorganisatorin des „Netzwerks Gewaltschutz inklusiv“ freute sich über viele neu entstandene Kontakte: „Wie erhofft, wurden in den regionalen Arbeitsgruppen teils direkt konkrete Verabredungen getroffen!“ Aleksandra Gajek, Beraterin bei agisra und ebenfalls im Organisationskreis der Veranstaltung, betonte: „Wir haben heute auch ein Bewusstsein für die spezielle Situation von Frauen mit Migrationshintergrund geschaffen.“

Ausblick und Bedeutung

Angesichts des nahenden Projektendes bei „SiStaS – vernetzt!“ betonte Monika Rosenbaum vom NetzwerkBüro NRW den intersektionalen Ansatz des NetzwerkBüros und die Bedeutung der Projektarbeit. „Gewaltschutz für Frauen mit Beeinträchtigung erfordert Netzwerke, die auf Vertrauen basieren, Akteurinnen, die die Grenzen zwischen Eingliederungshilfe und der übrigen Gewaltinfrastruktur überschreiten, und schließlich eine unabhängige Unterstützung der Frauen in Werkstätten und Wohneinrichtungen,“ erklärte sie.

Im Hinblick auf die Zukunft verwies Monika Rosenbaum auf den dringenden Handlungsbedarf in Wohneinrichtungen: „Frauen in Wohneinrichtungen oder besonderen Wohnformen sind oft noch weniger mit der Außenwelt verbunden: Vor allem Frauen mit komplexen Unterstützungsbedarfen stehen vor vielen Herausforderungen, um kurzfristig eine von Gewalt geprägte Situation zu verändern.“ Angesichts oft langwieriger Antragsbearbeitungen in der Eingliederungshilfe gewinnen gute Netzwerke als Wege zu erster Hilfe zusätzlich an Bedeutung, denn, wie es eine Teilnehmerin formulierte: „Gewalterfahrung ist nicht planbar!“

Quellen:
Text: Dieser Text entstand in Kooperation mit dem NetzwerkBüro Frauen und Mädchen mit Behinderung/chronischer Erkrankung NRW
Headerbild: SiStaS-Logo mit freundlicher Genehmigung des Projektes (https://frauen-vernetzen.nrw/)