GUTES LEBEN IN ZEITEN DER EMANZIPATION – Vortrag zum Internationalen Frauen*tag 2008 von Antje Schrupp
2008Angela Merkel ist Bundeskanzlerin, die HausFrauenehe ist abgeschafft, und der Feminismus ist endlich daangekommen, wo er nach Ansicht von Alice Schwarzer hingehört: In der »Mitte der Gesellschaft.« Sogar die Konservativen sind heute Feministinnen, und das ist schön, denn uns Frauen liegt doch heute die Welt zu Füßen, wie die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin schreibt.
Andererseits: Hillary Clinton wird womöglich doch nicht Präsidentin von Amerika.
Zu all dem sage ich später noch etwas. Aber zuerst möchte ich ein Stück in die Vergangenheit gehen. Denn – das gilt auch für den Feminismus – die Gegenwart kann man nur verstehen, wenn man ihre Wurzeln kenn.
Im Jahr 1788, also ein Jahr vor dem Sturm auf die Bastille, kritisierte die französische Schriftstellerin undBildpolitische Essayistin Olympe de Gouges (Bild rechts) in einem Aufsatz eine gewisse Haltung, die sich unter den Wissenschaftlern, Handwerkern und Politikern ihrer Zeit breit machte. Im Zuge der beginnendenIndustrialisierung, so de Gouges Kritik, würden sie zunehmend eigennützige Ambitionen verfolgen ohne deren Auswirkungen auf die Gesellschaft allgemein zu berücksichtigen. Vor lauter Profitstreben würden sie ihren eigenen Platz innerhalb der menschlichen Gemeinschaft nicht mehr verstehen. (kommt uns das irgendwie bekannt vor?) De Gouges endet diesen Abschnitt mit den Worten: »Wenn ich in dieses Thema noch weiter verfolge, würde ich zu weit gehen und die Feindschaft der Neureichen auf mich ziehen, die, ohne über meine guten Ideen nachzudenken oder meine gute Absichten anzuerkennen mich ohne Mitleid verurteilen würden als eine Frau, die nur Paradoxes anzubieten hat undkeine einfachen Lösungen für die Probleme.« So ähnlich fühle ich mich auch manchmal. Denn auch das, was ich sage, ist oft paradox. Ich bin für etwas und gleichzeitig dagegen. Es liegt irgendwie quer zu der Art und Weise, wie so oft diskutiert wird, mit klaren Positionen und Standpunkten. Und ich glaube, wie Olympe de Gouges, dass das mit dem Frausein zusammen hängt.
Warum? Feminismus bedeutet das Eintreten für die weibliche Freiheit, gegen die Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche, für eine Politik der Frauen, die auf dem individuellen Begehren der jeweiligen Frauen gründet. Feminismus bedeutet also die Arbeit daran, dass Frauen* als denkende und handelnde Persönlichkeiten Verantwortung für die Welt übernehmen. Aber dabei sieht sich der Feminismus einer paradoxen Situation gegenüber, und zwar der, dass wir in einer Kultur leben, in der das freie Subjekt sich von Beginn an als männlich definiert hat – als Nicht-Frau. Deshalb wurden Frauen* vom Wahlrecht und der öffentlichen Sphäre ausgeschlossen, und in die Privatsphäre verbannt. Oder auch anders: Je gleicher die Männer sich wurden, um so ungleicher mussten die Frauen* sein, weil sich das Gleich notwendigerweise durch den Ausschluss des anderen konstituiert.
Das Grundparadox des Feminismus, jedenfalls des westlichen, ist also, dass wir als Frauen* sprechen, aber nur, um zu sagen, dass das Frausein keine Rolle spielen soll oder jedenfalls uns auf nichts festlegen soll. Oder im Gegenteil, dass wir als Gleiche handeln, nur um dann festzustellen, dass das Frausein doch eine Rolle spielt.
» Nur Paradoxien anzubieten« – so hat auch die amerikanische Historikerin Joan Wallach Scott den Titel eines Buches gewählt, in dem sie vier französische Feministinnen untersucht, die sich im Lauf der Jahrhunderte für die Rechte der Frauen* engagiert haben. Die erste ist eben Olympe de Gouges, die in der Geburtsstunde der westlichen Demokratien dafür kämpfte, dass diese Rechte freier männlicher Bürger auch Frauen* eingeschlossen werden sollten. Berühmt ist ihre 1791 verfasste »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin«. Dafür starb Olympe de Gouges, wie viele andere Frauen* und Männer, unter der Guillotine. Das sollten wir manchmal erinnern, wenn wir, wie heute weithin üblich, die Errungenschaften der westlichen Demokratie und Aufklärung als Bollwerk gegen das Patriarchat in finsteren nicht-westlichen Kulturen anrufen. Nicht die westlichen Demokratien haben sich die Freiheit der Frauen* auf ihre Fahnen geschrieben, sondern diese Freiheit wurde von der Frauenbewegung gegen dieses moderne, männliche Politikverständnis erkämpft. Und das war kein leichter Kampf. Rund 150 Jahre lang dauerte es immerhin, bis Frauen das Wahlrecht bekamen, und noch einmal 50 Jahre länger, bis die Gleichberechtigung akzeptiert wurde.
Joan Scott zeigt in ihrem Buch, wie »paradox« Feministinnen von Anfang an dabei argumentierten: Manche betonten die Unterschiedlichkeit von Frauen* und Männern – etwa Jeanne Deroin, die in der Revolution von 1848 für das Wahlrecht kämpfte mit der Begründung, gerade weil die Aufgaben und Interessen von Frauen* so anders sind als die der Männer, müssten sie politisch mitbestimmen dürfen. Andere Feministinnen argumentierten im Gegenteil mit der Gleichheit: Die Unterschiede zwischen Frauen* und Männern, so etwa die Sozialistin Madeleine Pelletier in den 1920er Jahren, seien lediglich anerzogen und würden bei gleichen Aufgaben und Arbeiten ganz verschwinden. Tja, es wird wohl irgendwas dazwischen sein. Auch heute kämpfen ja manche noch den Kampf von Gleichheitsfeminismus gegen Differenzfeminismus. Aber was, wenn wir aus diesem Paradox nicht herauskommen? Weil wir sowieso immer beides sein müssen?
Die Frage ist nicht so sehr, was ist der richtige Feminismus, die richtige feministische Meinung. Sondern: Wie findet eine einzelne Frau ihren Ort in dieser komplexen paradoxen und widersprüchlichen Angelegenheit namens Frauenbewegung? Im Februar war ich bei einem Treffen von Anarchafeministinnen in der Schweiz, bei dem viele sehr junge Frauen waren, so um die 20-Jährige. Sie haben über die Geschichte des Feminismus referiert, und ich war verblüfft, wie die Frauenbewegung schon ein historisches Phänomen geworden ist. Sie haben beim Feminismus – ganz wie bei jedem anderen »ismus« –verschiedene Strömungen unterschieden und verschiedene geschichtliche Etappen markiert. Ich fand das sehr interessant, zum Beispiel, dass für sie offenbar die Frauenbewegung der 1970er Jahre fast schon so weit weg und » alt« zu sein scheint, wie die Wahlrechtsbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts. Wie nun knüpft sich eine Frau immer wieder in diese wechselvolle Geschichte des Feminismus ein?
Man spricht ja heute oft von feministischen »Wellen« – nach der »ersten« Frauenbewegung im Kampf um das Wahlrecht und der »zweiten« Frauenbewegung der 1970er Jahre hätten wir heute die »dritte« Welle der jungen Frauen, denen es weniger um die Integration in die Institutionen gehe, sondern um einen kulturellen Diskurs. Das klingt erstmal so, als würde jeweils die vorherige »Welle« des Feminismus abgelöst von einer neuen Welle, weil sie überholt und gewissermaßen altmodisch geworden ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das Modell der Wellen stimmt, aber ich glaube, was stimmt, das ist, dass der Feminismus es irgendwie niemals »schafft« – um Alice Schwarzer zu widersprechen – in der »Mitte der Gesellschaft« anzukommen. Denn sobald eine Sache erreicht ist, fällt den Frauen wieder etwas Neues ein. Der Feminismus ist notwendig eine paradoxe Angelegenheit. Aber das hängt eben mit der weiblichen Freiheit zusammen. Freiheit ist kein Zustand, der irgendwann einmal erreicht wird. Sondern Freiheit heißt gerade, die Grenzen des Gegebenen immer wieder zu überschreiten.
Das bringt mich auf eine andere maßgebliche Vordenkerin der Frauenbewegung, nämlich Simone de Beauvoir, die am 9. Januar 100 Jahre alt geworden wäre. Sie hat ja das Grenzüberschreiten, das Transzendieren gegebener Verhältnisse geradezu zum Mittelpunkt ihres ganzen Denkens gemacht. Ihr Weg weisendes Buch »Das andere Geschlecht«, erschienen 1949, beginnt sie mit folgenden Worten: »Ich habe lange gezögert, ein Buch über die Frau zu schreiben. Das Thema ist ärgerlich, besonders für die Frauen; außerdem ist es nicht neu. Im Streit um den Feminismus ist schon viel Tinte geflossen, zur Zeit ist er fast beendet.« Dieser Streit um den Feminismus, der damals seinem Ende zuging, war der Kampf um das Wahlrecht, das 1944 in Frankreich das Frauenwahlrecht eingeführt worden war – 25 Jahre später als in Deutschland oder den USA. Damit war einer der großen offenen Punkte erledigt, den die französische Revolution geschaffen hatte. Auch viele Feministinnen hielten ihren Kampf nun für abgeschlossen. Sie dachten: Wenn Frauen erst politische Mitbestimmungsrechte hätten, dann würde sich der Rest von selbst lösen. Simone de Beauvoir aber war anderer Ansicht. Anhand von unzähligen Beispielen wies sie nach, dass die Benachteiligung der Frauen* sich nicht auf die politischen Rechte beschränkte, sondern durch alle Bereiche von Kultur, Bildung und Gesellschaft zog. Und dass die Unterschiede der Geschlechter auf eine Weise polarisiert waren, die es unmöglich machte, dass Frauen* sich auf dem Weg der politischen Mitbestimmung in gleicher Weise wie die Männer Bahn verschafften.
Mit dieser Einsicht ist Beauvoir zur Stichwortgeberin einer neuen feministischen Epoche geworden, nämlich der Epoche der Gleichstellung der Frauen* mit den Männern und ihrer vollen Integration in das öffentliche Leben. Beauvoirs Lösungsvorschlag für das beschriebene Dilemma war ja, dass Frauen* sich von allen als weiblich definierten Rollenzuschreibungen lösen sollten, dass sie berufstätig sein sollten, dass sie die männlichen Domänen für sich erobern sollten. Ihre Kritik richtete sich vor allem gegen eine Mädchenerziehung, die den Fokus auf das Hausfrau- und Muttersein legte. Und wir wissen alle, wie erfolgreich diese Politik gewesen ist. Heute ist das Bekenntnis zur Gleichstellung der Frauen* mit den Männern nicht mehr das Anliegen nur von Feministinnen, sondern offizielle Regierungspolitik in allen europäischen Ländern und in den USA. Wir haben aktive Frauenförderung, Gleichstellungsprogramme, Gender Mainstreaming und andere Instrumente gesetzlich verankert. Natürlich wissen wir auch, dass diese Gleichstellung faktisch noch nicht überall erreicht ist, aber dass sie gewollt ist, wird heute nicht mehr bestritten.
Vielleicht stehen wir heute vor einer ähnlichen Aufgabe, wie Simone de Beauvoir vor 60 Jahren: Nämlich uns klar zu machen, dass auch dieses Erreichte, das uns bisher so wichtig war und die Lösung aller Probleme zu versprechen schien, ebenfalls nicht das feministische Paradies bringt. Denn auch die Emanzipation hat an der prinzipiellen Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche, das für die westlichen Demokratien konstitutiv ist, nichts Wesentliches geändert hat. Nehmen wir etwa die so genannten Fürsorgearbeiten, also die Erziehung von Kindern oder der Pflege von alten und kranken Menschen. Bekanntlich sind dies historisch gesehen »weibliche« Tätigkeiten, also solche, die überwiegend von Frauen gemacht werden. Und wie Sie alle wissen, werden diese Tätigkeiten gesellschaftlich bis heute kaum anerkannt, sie sind zum Beispiel schlecht oder überhaupt nicht bezahlt. Nun gibt es aus der Perspektive der Gleichstellung eine einfache Lösung für diese Ungerechtigkeit, die derzeit auch massiv propagiert wird: Die Arbeiten sollen gleichmäßig unter den Geschlechtern aufgeteilt werden. Frauen* sollen also ebenso wie Männer besser bezahlte Berufe übernehmen, sie sollen Managerinnen und leitende Angestellte und Unternehmerinnen sein. Und auf der anderen Seite sollen Männer in Pflegeberufe und in die Hausarbeit.
Aus der »Gender«-Perspektive, um in moderner Terminologie zu reden, wäre das Problem damit gelöst. Aber ich frage mich: Was wäre eigentlich gewonnen, wenn die Hälfte der gut bezahlten Jobs von Frauen* gemacht würden und die Hälfte der schlecht oder gar nicht bezahlten Fürsorgearbeit von Männern? Wenn es also zwar nach wie vor die sozialen Hierarchien gäbe, die aus den ehemaligen Geschlechterdiskursen und der Unterordnung der Frauen* heraus entstanden sind, nur dass jetzt aber reale Frauen* und Männer gleichmäßig auf beiden Seiten vertreten sind? Ich kann nicht sehen, was das bringen soll. Die Gender-Perspektive, also das statistische Aufrechnen von Männer- und Frauen-Anteilen, bringt uns hier nicht weiter. Ein anderes Beispiel: Eine norwegische Feministin berichtete Mitte Februar bei einem Internationalen Feminismuskongress in Frankfurt von der dritten » Welle« des Feminismus in den nordischen Ländern. Dort ist ja nicht nur die Gleichberechtigung Prinzip, sondern es gibt einen regelrechten Staatsfeminismus, also enge Verbindungen zwischen Feministinnen und der Politik und viel radikalere Gleichstellungsmaßnahmen als bei uns. Sie wissen vielleicht, dass Norwegen sogar eine 40-Prozent-Quote für Aufsichtsräte hat. Aber das feministische Paradies ist es trotzdem nicht. Denn trotz perfekter Gesetze und Regeln haben Frauen auch dort mit sexistischer Gewalt zu tun, es gibt eine männliche Dominanz auf kulturellem Gebiet oder in der Erwerbsarbeit.
Es sieht also nicht so aus, als würde die Gleichstellung den Feminismus überflüssig machen. Feminismus als Weg zum freien Handeln von Frauen* in der Welt ist weiterhin notwendig, und zwar nicht nur, weil die Emanzipation gewissermaßen noch einige Probleme »übrig« gelassen hat. Die italienische Feministin Carla Lonzi schrieb bereits 1974 in einem Buch, in dem sie sich kritisch mit Hegel auseinandersetzt: »Die Gleichheit der Geschlechter ist heute das Gewand, mit dem sich die Unterordnung der Frau tarnt.« Wieder ein Paradox.
Wie kann das sein, dass die Gleichheit der Geschlechter die Unterordnung der Frau verschleiert?
Manche dieser Entwicklungen sind ganz handfest. Denken Sie etwa an die jüngste Änderung des Unterhaltsrechtes, die Frauen, vor allem ältere Frauen, massiv finanziell schlechter stellt. Es ist ein Gesetz, das die serielle Monogamie des Mannes fördert, das heißt das Eingehen mehrerer Partnerschaften hintereinander, aus denen jeweils wieder neue Kinder hervorgehen. Deren Unterhaltsansprüche gehen dann zu Lasten der früheren Frauen* und deren Kindern. Betreuungsunterhalt wird grundsätzlich nur noch in den ersten drei Lebensjahren bezahlt, früher waren es, zumindest bei verheirateten Müttern, acht Jahre. Sicher ist das Gesetz geschlechtsneutral formuliert, wie alles heute, aber faktisch benachteiligt es die Frauen. Nicht nur weil in über 90 Prozent aller Fälle sie es sind, die wegen Kindern auf Karrierechancen verzichten, sondern aus einem viel banaleren Grund: Frauen können nämlich nicht bis ins hohe Alter immer neue Partnerschaften eingehen und neue Kinder bekommen. Es ist also ein klares Männerbevorzugungsgesetz, und die Anwälte unterhaltspflichtiger Männer arbeiten zur Zeit auf Hochtouren, um ihre Mandanten von dieser lästigen Pflicht zu befreien. Durchgesetzt wurde das Gesetz aber mit dem Argument der Gleichheit: Frauen* sollen genauso wie Männer für ihren finanziellen Lebensunterhalt selbst verantwortlich sein.
Interessant fand ich in diesem Zusammenhang den Titel der »taz«, die über diese Gesetzesänderung groß – und wohlwollend – berichtete und auf dem Titel eine junge Frau mit einem Baby im Arm hatte, und die Überschrift hieß: » Mütter müssen nicht mehr heiraten«. Dies spielte darauf an, dass nun verheiratete und unverheiratete Mutter beim Unterhalt gleichgestellt werden. Dennoch war dies eine Lüge. Denn es ist keineswegs so, dass unverheiratete Mütter besser gestellt wurden, sondern verheiratete Mütter sind jetzt genauso schlecht gestellt werden, wie es unverheiratete schon immer waren. Richtig hätte die Schlagzeile also lauten müssen: »Heiraten hilft jetzt auch nichts mehr.« Aber es ist ein gutes Beispiel, wie eine faktische Schlechterstellung von Frauen* per Gesetz als emanzipatorische Errungenschaft gefeiert wird.
Aber das Unterhaltsrecht ist nur ein Beispiel. Ein anderes Beispiel ist die massive Stärkung von Väterrechten in den letzten Jahren, die allesamt zu Lasten der Mütter gingen, sei es im Umgangsrecht, im Sorgerecht und so weiter. Auf Druck der organisierten Väterverbände wurde sozusagen der Zugriff der Väter auf ihre Kinder auch gegen den Willen der Mütter per Gesetz sichergestellt – und zwar, wohlgemerkt – ohne dass damit eine größere Verantwortungsübernahme der Väter bei der Kindererziehung und Kinderbetreuung einhergegangen wäre. Sogar nachgewiesenermaßen gewalttätige Väter haben ein Recht auf Umgang und das Sorgerecht hängt überhaupt nicht davon ab, ob ein Vater oder eine Mutter tatsächlich Verantwortung übernimmt und Sorgearbeiten macht. Begründung ist die per Gesetz festgelegte Behauptung »Kinder brauchen beide Eltern« (ein Ausdruck der Doktrin der Gleichheit also). Und zwar sind damit die biologischen Eltern gemeint, nicht die sozialen Eltern.
Noch ein letztes Beispiel, an dem meines Erachtens die bleibende Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche im Namen der Gleichstellung von Männern und Frauen* besonders deutlich wird, ist der jüngste Vorschlag von Justizministerin Zypries, Eheleute sollten doch schon bei der Heirat einen Ehevertrag abschließen um spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden. Nun sind aber gerade Verträge und juristische Spitzfindigkeiten bekanntlich Orte, in denen sich Männer deutlich eher zu Hause führen als Frauen. Zu wessen Vorteil werden solche Verträge wohl ausfallen? Und: Müssen Frauen jetzt lernen, Beziehungen, sogar Liebesbeziehungen, unter dem Aspekt vertraglicher Abmachungen zu sehen?Ich will das gar nicht weiter ausführen, Sie sehen, worauf ich hinaus will. Mit dem Argument der Gleichheit und der Emanzipation werden faktische Benachteiligungen und Schlechterstellungen von Frauen* durchgesetzt, ohne dass es feministischen Protest dagegen gibt, ja sie werden oft sogar mit Unterstützung von Feministinnen und Frauenbeauftragten und Gleichstellungsstellen durchgesetzt, weil sie ja das Prinzip der »Gleichheit« zugrunde legen.
Trotzdem: Das Patriarchat ist zu Ende. Es ist nicht einfach dasselbe wie früher, kein Backlash. Frauen akzeptieren ihre Unterordnung nicht mehr, die Geschlechterordnung ist faktisch durcheinander gekommen. Das heißt, anders als früher das Patriarchat schafft die heutige Überordnung des Männlichen über das Weibliche keine Ordnung mehr, sondern Unordnung. Denn die Welt und die Theorie passen sozusagen nicht mehr zusammen. Das hat der Soziologe Alain Touraine in seinem Buch »A new paradigm« sehr gut zusammen. Die alten sozialen Gruppen, seien es Arbeiter und Unternehmer, Arme und Reiche, Frauen* und Männer oder wie auch immer die Gesellschaften aufgeteilt werden konnten, können nicht mehr erklären, was geschieht. Individuen verhalten sich individuell, nicht so, wie ihre Zugehörigkeit zu irgendeiner soziologischen Identität es ihnen zuschreibt oder erwarten ließe. Und nicht zufällig kommt er zu dem Schluss, dass Frauen* die maßgeblichen Akteurinnen dieses neuen kulturellen Paradigmas sein werden. Seine These, um sie kurz zusammen zu fassen, lautet: Herrschaft vollzieht sich heute nicht mehr durch direkte Gewalt, sondern indem sie direkt die Köpfe und die Wünsche der Menschen besetzt.
Beispiel: Akkordarbeit wird nicht mehr von einem Vorarbeiter mit Druck durchgesetzt, sondern jeder will von selbst so viel wie möglich leisten. Oder: Eugenik wird nicht mehr betrieben, indem der Staat gewaltsam Menschen mit Behinderungen tötet oder an der Fortpflanzung hindert, sondern die Menschen selbst wünschen sich entsprechende »Vorsorgemaßnahmen« und treffen sozusagen freiwillig schon eine eugenische Auswahl, indem sie etwa nicht vollständig »normale« Föten abtreiben.
Politischer Kampf gegen solche Herrschaftsformen kann daher nach Ansicht von Touraine nicht mehr im Zusammenschluss von Gruppen bestehen, sondern im Kampf der Individuen gegen eine »Implementierung« von solchen Herrschaftsgedanken in ihr eigenes Wünschen und Wollen. Und damit – so würde ich hinzufügen – in neuen Formen der Gemeinschaftsbildung, die gerade nicht in der Übereinstimmung von Interessen und Ansichten bestehen darf, wie früher in Parteien, Gewerkschaften, Solidaritätsgruppen. Denn eine » Gemeinschaftsmeinung« hervorzubringen ist gerade die Art und Weise, wie Herrschaft heute funktioniert (eben nicht mehr durch Druck und Gewalt). Gemeinschaftsbildung kann also nur durch die konkrete Beziehung zwischen Individuen, die ihre Unterschiedlichkeit schätzen, einen herrschaftskritischen Impuls haben – die Praxis der Beziehungen unter Frauen* in ihrer Differenz ist eine wegweisende Praxis der Frauenbewegung für diese »Nach-Soziale« Welt, wie Touraine sie nennt. Wie gefährlich es ist, weiterhin mit Frauen als einer sozialen Gruppe zu argumentieren, zeigt eine gewisse emanzipatorische Propaganda, die man derzeit an vielen Stellen beobachten kann.
Da kommen nämlich im Gewand der Gleichheit ganz alte Argumentationsmuster zurück, die direkt gegen die weibliche Freiheit gerichtet sind. Zum Beispiel haben Sie sicher schon das Argument gehört, Unternehmen sollten mehr Frauen* in Führungspositionen bringen, weil das erwiesenermaßen ein Unternehmen erfolgreicher mache. Auf diese Weise wird der Kampf für weibliche Freiheit untergraben. Denn der wendet sich doch gerade gegen diese Nützlichkeitserwägungen. Früher waren Frauen* nützlich, wenn sie Kinder bekamen und großzogen, heute sind sie nützlich für als Fachkräfte für die Wirtschaft – im Prinzip ist beides dasselbe. Ich meine, die Botschaft müsste sein, dass es endlich nicht mehr darum gehen sollte, wie Frauen* sich nützlich machen können, sondern darum, was Frauen* wünschen und welche Vorstellungen vom guten Leben sie haben.
Das heißt nun, nach der Gleichstellung, nach dem Ende des Patriarchats, beginnt die Epoche, in der Frauen* Verantwortung für die Welt übernehmen, ohne sich an männlichen Maßstäben zu orientieren. Gerade wenn Frauen* emanzipiert und gleichberechtigt sind, brauchen wir den Feminismus um so nötiger. Denn je mehr emanzipierte und einflussreiche Frauen* wir haben, umso wichtiger ist es, was sie tun und welchen Sinn sie ihrem Frausein geben. Die »Nützlichkeit« der Frauen* für die Gesellschaft ist nicht das Ziel, sondern die freie Gestaltung der Welt nach den Wünschen und Vorstellungen der Frauen* selbst. Natürlich ist das nicht neu, schon immer haben sich die meisten Feministinnen als Frauen* verstanden, die für ein gutes Leben aller auf dieser Welt eintreten und nicht nur für die Integration der Frauen* in die bestehenden Verhältnisse. Aber beides ging bislang fast immer Hand in Hand: Eine Verbesserung der Situation von Frauen, eine Gleichstellung, hat auch die Welt insgesamt besser gemacht. Neu ist heute, und das wäre eine weitere Paradoxie, dass es inzwischen auch Situationen gibt, in denen die Gleichstellung und Emanzipation der Frauen dem guten Leben entgegenstehen kann.
Dass das so glatt geht, liegt auch daran, dass heute über Geschlechterdifferenzen gar nicht mehr gesprochen wird. Wir haben die sexuelle Differenz rein sprachlich eliminiert, indem wir fast nur noch geschlechtsneutralisierende Worte benutzen, zum Beispiel von Eltern reden, auch wenn praktisch nur Mütter gemeint sind, von Pflegekräften statt von Krankenschwestern und so weiter. Diese Art der sprachlichen Verschleierung wird inzwischen geradezu als Vorbedingung für Geschlechtergerechtigkeit verstanden. Ich habe kürzlich, als die ersten Zahlen über den sehr geringen Zuspruch von Vätern zu dem neuen Erziehungsgeld veröffentlicht wurden, in meinem Internetblog den Vorschlag gemacht, dieses Geld doch konsequenter Weise »Müttergeld« zu nennen. Denn es ist ja reine Propaganda, die jetzt vorliegenden Zahlen als Erfolg zu werten. Zwar hat sich die Zahl der Anträge, die von Vätern gestellt werden, im Vergleich zur alten Regelung verdoppelt, aber die Hälfte davon nimmt nur die zwei Vätermonate, die sonst ja verfallen würden. Dahinter steht natürlich keinerlei Änderung im Fürsorgeverhalten, sondern ein reiner Mitnahmeeffekt.
Aber vom Müttergeld statt von Elterngeld zu sprechen, wurde von den Leserinnen und Lesern meines Blogs empört zurückgewiesen: Dass die drei bis vier Prozent Väter, die sich hauptverantwortlich um ihre Kinder kümmern, beim »Müttergeld« »mitgemeint« sein könnten, wird offenbar als Zumutung empfunden. Und bei vielen Frauen* kam noch die Sorge hinzu, dass durch eine solche Wortwahl die gutwilligen Männer abgeschreckt werden könnten, dass sie sich nicht eingeladen oder aufgefordert fühlen, ihren Anteil an der Haus- und Fürsorgearbeit zu übernehmen.
Ich glaube, diese Reaktionen haben noch einen anderen Grund. Von » Müttergeld« zu sprechen würde nämlich heißen, einzugestehen, dass das seit zwanzig Jahren propagierte Projekt, die Haus- und Fürsorgearbeit zu gleichen Teilen den Männern zu übertragen, vorläufig gescheitert ist. Damit wäre aber die große Frage, vor der unsere emanzipierte Welt heute steht, nach wie vor unbeantwortet: Wer soll eigentlich die früher von HausFrauen* gratis geleistete Arbeit, die Haus- und Fürsorgearbeit, tun, wenn es keine HausFrauen* mehr gibt, und zu welchen Bedingungen? Diese Frage liegt ja letzten Endes sämtlichen politischen Themen, die heute auf der Agenda stehen, zugrunde – der Gesundheitspolitik, der Pflegeproblematik, der Bildungsmisere, den gefährdeten Beziehungen.
Bisher war der Slogan der Frauenbewegung: »Beruf und Familie sind vereinbar« – als Gegenargument gegen Leute, die behaupteten, eine Mutter gehöre an die Seite ihres Kindes und dürfte sich durch nichts, schon gar nicht durch Berufstätigkeit, davon ablenken lassen. Heute ist es andersrum: Kinder sollen Frauen nicht mehr davon abhalten, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen – denn anstelle des Patriarchats macht nun der Neoliberalismus seine Ansprüche an die Dienste der Frauen* gelten.
Vielleicht müssen wir deshalb im Denken heute einen anderen Weg einschlagen und sagen: Beruf und Familie sind nicht vereinbar. Denn die Sorge für Kinder, für Alte, für Kranke erfordert einen anderen Rhythmus, folgt einer anderen Logik als die Herstellung von Gütern oder das Streben nach finanziellem Profit. Es genügt nicht, ein paar mehr Kitas zu bauen und die Ganztagsschule einzuführen, sondern es ist eine Frage, die die ganze Kultur umkrempelt, wenn wir die Erfordernisse der Haus- und Fürsorgearbeit ernst nehmen. Es ist Zeit, dass wir die Anforderungen, die sich dadurch stellen, nicht mehr herunterspielen, sondern öffentlich thematisieren: Kindererziehung, Altenpflege und all dass lässt sich weder im Privaten regeln, noch über einen profitorientierten Markt. Wir müssen hier einen ganz neuen Bereich der Wirtschaftstheorie erfinden. Denn vielleicht haben die Männer ja deshalb solche Vorbehalte gegen die Fürsorgearbeit, weil sie ihre Logik nicht verstehen. Und wir haben es ihnen auch nicht erklärt, weil wir immer so getan haben, als sei es doch ein Klacks. Oder eben eine ganz normale Arbeit, einem Beruf vergleichbar. Aber eine Hausfrau ist nicht die Managerin eines kleinen Familienunternehmens, auch wenn wir eine Zeitlang so argumentiert haben, um die Qualifikationen dieser Arbeit herauszustellen. Also schon wieder ein Paradox.
Eine Frau sagte kürzlich in einer Diskussionsveranstaltung an diesem Punkt: Wenn ich mich entscheide, wegen der Kinder eine Zeitlang Teilzeit zu arbeiten, dann tue ich das doch nicht als Frau, sondern als Individuum, als Ich. Das ist ein sehr wichtiger Hinweis. Es kann nicht darum gehen, neue Stereotype von Weiblichkeit zu entwickeln. Freie Frauen* folgen nicht irgendwelchen Konventionen von Weiblichkeit, sondern ihrem eigenen, individuellen Begehren. Sie verfolgen ihre eigenen Projekte in der Welt, indem sie die gegebenen Zustände überschreiten, transzendieren. Dies ist die wichtigste Botschaft von Simone de Beauvoir, um noch einmal auf diese große Vordenkerin zurück zu kommen. Beauvoir hat gezeigt, wie die Klischees von Mutterschaft und HausFrauendasein Frauen zu ihrer Zeit gerade davon abhielten, eigene Ziele und Ideen zu verfolgen, weil sie sie darauf beschränkten, sich immer nur für andere aufzuopfern. Beauvoir forderte Frauen* auf, Berufe zu ergreifen, weil sie glaubte, im Arbeitsleben sei dieses Grenzüberschreiten, der Ausbruch aus der Konventionalität, eher möglich.
Heute frage ich mich, ob nicht gerade die Erwerbsarbeit diese Art der Konventionalität bestärkt, und zwar nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern. Ist es nicht so, dass viele auch bei der Arbeit nur noch funktionieren und versuchen, die Erwartungen anderer möglichst gut zu erfüllen? Das bringt mich noch zu einem anderen Punkt: Andrea Günter hat kürzlich in einem Artikel für unser Internetforum »Beziehungsweise weiterdenken« darauf hingewiesen, dass die derzeitige Debatte um die »Vereinbarkeit« von Beruf und Familie die Situation eher verschleiert, weil der Eindruck erweckt wird, dass das der einzige Punkt ist, der Frauen die Teilnahme am Berufs- und öffentlichen Leben erschwert. Aber das ist nicht so. Auch kinderlose Frauen* oder solche, die die Hausarbeit anderswie organisiert haben, sind keineswegs so super-willkommen in unseren Institutionen. Damit sind wir sozusagen beim Phänomen der gläsernen Decke oder auch – bei Hillary Clinton.
Warum wird sie vielleicht doch nicht Präsidentin von Amerika? Ich glaube nicht, dass Gloria Steinem recht hat, wenn sie sagt, dass Amerika noch nicht reif ist für eine Frau an der Spitze. Amerika ist da nicht reifer oder unreifer als England oder Deutschland, wo wir ja Maggie Thatcher schon hatten und Angela Merkel noch haben. Ich glaube, Hillary Clinton hatte erst einmal vor allem Pech, und zwar das Pech, dass das weibliche »Rollenmodell« in der US-Politik gerade nicht gefragt ist: Nämlich das der sachkompetenten Politikerin, die arbeitsame und bescheidene Frau, die sich als Alternative zu großsprecherischen Angebern anbietet, die das Land in den Ruin und ins Chaos getrieben haben. Weibliche Sachkompetenz gegen männliche Alphatiere. Auf diesem Ticket sind Thatcher und Merkel an die Macht gekommen, und beinahe hätte es ja auch Clinton geschafft. Ihr Problem ist aber, dass George Bush heute nicht mehr für ein Alphatier gehalten wird, sondern für eine Witzfigur. Nicht dass er großsprecherisch das Land in den Ruin getrieben hat, wird ihm vorgeworfen, sondern dass er Amerika vor der Weltöffentlichkeit lächerlich macht.
Dagegen profiliert sich Barack Obama als » Messias«, wie der Spiegel schön titelt, der die Leute mitreißt und begeistert. Ich finde, Clintons Polemik, dass Obama doch nur reden kann, während sie vom ersten Tag an Politik macht, ist nicht sehr klug, weil es sie genau auf dieses Rollenmodell beschränkt. Ihre Chance wäre es gewesen, neben neben der »Aufräumerin« und »Sachorientierten« auch noch andere mögliche Repräsentationsmöglichkeiten des Weiblichen auf dem Gebiet der Politik zu erfinden. Wie könnten Möglichkeiten für eine »visionäre« und mitreißende Politik von Frauen* aussehen? Das ist die Frage hat Clinton nicht beantwortet. Vielleicht konnte sie es auch gar nicht – Ein weibliches Wort für Messias gibt es nicht. (mehr zu diesem Thema)
Die Obamania zeigt aber, dass viele Menschen mehr wollen als eine an Sachzwängen orientierte Realpolitik. Sie wollen einen grundlegenden Wandel, auch wenn der nicht gut ausformuliert ist. Auch viele Frauen, gerade junge Frauen und schwarze Frauen, unterstützen aus diesem Grund Obama und nicht Clinton. Das ist vielleicht politisch nicht sehr klug, aber dieser Wunsch ist verständlich und sympathisch. Es wäre schade, wenn von Seiten des Feminismus nun nichts anderes käme als der Hinweis auf Obamas Unerfahrenheit oder das Pochen auf die weiblichen »Aufräumqualitäten«, zumal Frauen ja erst 50 Jahre nach den schwarzen Männern da Wahlrecht in den USA bekommen haben, also im Bereich der Politik viel »neuer« sind. Das Problem ist, dass die Frauenbewegung lange Zeit Visionärinnen aus ihren Reihen ausgeschlossen hat. Wussten Sie etwa, dass schon 1872 eine Frau in den USA als Präsidentin kandidierte? Sie hieß Victoria Woodhullundwar ein Freidenkerin, etwas exzentrisch, Anhängerin der freien Liebe und Spiritistin. Sie war eine wahrhafte Visionärin, konnte Leute begeistern und mitreißen.
Aber die ordentlichen und anständigen Frauenrechtlerinnen wollten sie nicht in ihren Reihen haben, sie war nicht angepasst genug, sie war zu individuell. Sie wurde regelrecht aus der Historiografie der Frauenbewegung getilgt und erst in den letzten Jahren wieder entdeckt. (Buch) Heute müssen Frauen niemandem mehr beweisen, dass sie ordentliche und verantwortungs-bewusste Staatsbürgerinnen sein können. Deshalb sind wir jetzt vielleicht freier, nicht nur den braven, konservativen und »nützlichen« Feminismus à la Merkel, Schwarzer und Co. zu haben, sondern auch einen visionären Feminismus, eine weibliche Politik, die sich nicht in die gegebenen Verhältnisse einpassen will, sondern ihre eigenen Wege findet, provokativ, skandalös, unmöglich, neu zu sein. Denn es ist schade – und vielleicht sogar gefährlich – dass uns für eine solche Politik nur das alte männliche Bild vom Erlöser, vom Messias, als Projektionsfläche zur Verfügung steht.
Das Frausein ist nichts, was feststeht oder vorgegeben ist und sich daher erforschen oder untersuchen ließe. Sondern wir müssen uns immer wieder neu die Frage stellen (und möglichst auch Antworten darauf geben), welchen Sinn es hat, vom Frausein zu sprechen, hier und heute. Wir sind es, die diesen Sinn finden und plausibel machen müssen, wir können ihn nicht beweisen oder einfach behaupten. Wenn wir diese Frage beantworten können, welchen Sinn es hat, eine Frau zu sein, ja, wenn wir vielleicht auch nur anfangen, uns über diese Frage Gedanken zu machen und uns auszutauschen – dann wäre es erstens nicht mehr nötig, in alten Geschlechterklischees zu schwelgen, und zweitens wäre das auch ein Gesprächsangebot für die vielen Töchter der Emanzipation, die sich zwar nicht mehr als Benachteiligte und Opfer einer patriarchalen Welt verstehen, aber dennoch ein gewisses Unbehagen an dieser Welt spüren, so wie sie heute ist. Dieses Unbehagen deutet auf ein Begehren hin, das es in die Welt hinaus drängt. Dafür Wege anzubieten, Hebammen zu sein, ganz konkret, im Rahmen von persönlichen Beziehungen, sowie in den Antworten, die wir finden und anbieten in dem, was wir öffentlich sagen, das könnte dem Feminismus eine wirkliche Autorität geben.
Wahrscheinlich ist es nicht mal so, dass »der Feminismus« sich immer wieder neu erfindet, dass wir verschiedene historische »Wellen« der Frauenbewegung haben, sondern noch ganz anders: Jede von uns muss den Feminismus in jeder neuen Situation wieder erfinden. Was ich sage, ist paradox, nicht weil ich widersprüchlich bin und mich um klare Standpunkte drücke, sondern weil das, was ich sage, immer von der jeweiligen Situation abhängt. Davon, was ich vermitteln will, welches die Rahmenbedingungen sind und so weiter. Und ich entscheide, ob ich die Gleichheit oder die Differenz der Geschlechter betone, ob ich das Patriarchat für beendet oder für voll am Leben erkläre, ob ich die Vereinbarkeit oder die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie betone, und so weiter. In dieser Hinsicht ist auch die Frauenbewegung ein Kind ihrer Zeit. Die moderne Soziologie hat sich von dem Modell fester Gruppenidentitäten längst verabschiedet. Es macht keinen Sinn mehr, die Gesellschaft in soziale Gruppen zu unterteilen, Kategorien wie »Frau«, »Arbeiter«, »Migranten« und so weiter haben keinen Sinn mehr, das bewirkt die Krise der Institutionen wie Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und so weiter. Stattdessen sprechen Soziologen heute von »Agency«, also von dem individuellen Handeln Einzelner. Das Problem, das dabei entsteht, ist, dass dies ein sehr vereinzeltes Gesellschaftsbild ergibt. Wie können wir als Einzelne den gesellschaftlichen Trends der Ökonomisierung und Vermarktwirtschaftlichung aller Lebensbereiche etwas entgegen setzen?
Ich glaube, die Frauenbewegung hat eine Antwort darauf. Sie ist nämlich, und das ist ihr Glück, keine Partei und kein Verein, sie verfolgt nicht bestimmte Gruppeninteressen. Frauen haben nämlich keine gemeinsamen Interessen. Aber Feministinnen »agieren« auch nicht vereinzelt. Sondern die Basis des Feminismus sind die Beziehungen unter Frauen. Konkrete Beziehungen zwischen Frauen, die miteinander sich darüber verständigen, was das heute sein soll, eine Frau, und wie gutes Leben für alle Menschen aussehen könnte. Die Frauenbewegung ist keine fest umrissene Gruppe mit einem einheitlichen Programm. Sondern sie lebt davon, dass viele Frauen Feministinnen sind. Dass sie klar Stellung beziehen in den konkreten Situationen, in denen sie versuchen, ihre Liebe zur Freiheit anderen zu vermitteln. Dabei drücken sie sich nicht vor eindeutigen Urteilen. Aber für diese Urteile stehen sie als Personen ein, nicht als Repräsentantinnen eines Geschlechts oder einer Bewegung.
Und was diese vielen Feministinnen dann sagen, das hängt von der jeweiligen Situation ab: Die eine wird für das neue Unterhaltsrecht sein, die andere dagegen, die eine für ein Kopftuchverbot, die andere dagegen, die eine findet KarriereFrauen* toll, die andere findet sie elitär, die eine wird mit der Gleichheit der Geschlechter argumentieren, die andere mit ihrer Differenz. Die eine wird pragmatische Politik machen, die andere lieber Visionen entfalten. Die gewisse Erfolglosigkeit der Frauenbewegung, die oft beklagt wird, wenn jede neue Generation von Frauen offenbar dazu neigt, den Feminismus wieder ganz neu zu erfinden, indem sie sich von ihren Vorgängerinnen abgrenzt, kann so gesehen auch eine Chance sein. Denn gerade in der Erfolglosigkeit liegt vielleicht auch die Möglichkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, immer wieder neue Antwortungen auf neue Herausforderungen und veränderte Situationen zu finden. Wenn ich hingegen erfolgreich gewählt wurde, bin ich immer an meine Position von gestern gebunden, sonst begehe ich »Wortbruch«.
Der Feminismus ist immer für eine Überraschung gut. Wohin die Liebe der Frauen* zur Freiheit führt, das lässt sich nicht vorhersagen, denn sie basiert auf dem Begehren der Frauen, das für die Zukunft offen ist, erfinderisch, neugierig auf Neues. Der Punkt ist nicht, eine übergeordnete Linie oder Strategie zu finden, die die Frauenbewegung eint, sondern zu verstehen, dass diese Paradoxien schon immer die Grundlage der Frauen*bewegung waren. Oder, vielleicht ist sogar auch der Ausdruck Paradoxien falsch. Als ich diesen Vortrag fast fertig hatte, bekam ich folgende E-Mail von Monika Golling, mit der ich zusammen auf einer Mailingliste bin. Sie schrieb: »Mir ist dabei wieder einmal in den Sinn gekommen, dass sich Entwicklung meiner Wahrnehmung und Erfahrung nach labyrinthisch vollzieht – also wenn ich das Gefühl habe, vor zwanzig Jahren zum Beispiel war dieses oder jenes doch schon einmal klarer, da gab es schon mehr ein Bewusstsein oder da waren wir doch schon einmal an diesem Punkt und jetzt kommt der ganze alte »Schrott« anscheinend nochmals auf, den wir doch längst für abgehandelt hielten, dann erinnere ich mich wieder ans Labyrinth, in dem ich umkreise und nochmals und nochmals, scheinbar am gleichen Punkt wieder vorbei komme, aber dennoch hat sich etwas verändert, an meiner Perspektive zum Beispiel oder ich spüre, ich bin eine Schicht tiefer unterwegs oder wenn ich denke, jetzt bin ich doch gleich in der Mitte angelangt, dann führt mich der Pfad nochmals ganz nach außen, bevor ich sie erreiche – so, als würde ich ganz weit weg kommen davon, nochmals völlig ins Abseits katapultiert werden….. Das ist der ganze Prozess für mich und mir scheint, dass das, was Frauen* an Impulsen und einem Mehr an Freiheit und Liebe zur Welt schon die ganze Zeit einbringen, ins Spiel bringen, dass sich das auf labyrinthischen Wegen verbreitet.«
am 5.3.2008 in der Frauen*beratungsstelle Tubf in Bonn