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Geschlechterdifferenz in einer FRAUEN-Beratungsstelle

2016

Sprechen und Schreiben als eine Form gesellschaftlichen Handelns, erfordert eine Auseinandersetzung mit uns vertrauten Sprachen und Schriftweisen.
Das kann verwirren. Ein Versuch der Entwirrung.

Wir benutzen in unseren Texten bei Bezeichnungen von Personengruppen bisher meist das Binnen-I. Es soll deutlich machen, dass wir in diesen Fällen Frauen und Männer gleichermaßen ansprechen. Diese Schreibweise ist vielen vertraut. Andere Formen der Anrede, zum Beispiel das große I durch den Unterstrich zu ersetzen, wie wir das aktuell tun, sind nicht so verbreitet. Der Unterstrich soll für die Leser_innen deutlich machen, dass es neben dem Maskulinum und dem Femininum noch andere Realitäten gibt. Da Sprechen und Schreiben auch eine Form gesellschaftlichen Handelns sind, setzten wir uns mit der Sprache und der Schriftweise auseinander.

Verwirrend? Ja, es soll verwirren. Vielmehr entwirren. Es soll sichtbar machen, was unsichtbar ist, es soll die Spannung zwischen folgenden Polen sichtbar machen:

Einerseits hinterfragen wir Geschlechterkategorien und -identitäten, andererseits nehmen wir die unterschiedlichen Erfahrungswelten in einer geschlechtspolar organisierten Gesellschaft ernst und spezialisieren uns auf weibliche Lebenswelten und ihre gesellschaftspolitischen Kontexte. Das geschieht aus persönlichem und fachlichem Interesse und deshalb halten wir mit der TuBF einen Frei- und Entwicklungs-Raum für Frauen aufrecht.

Dies ist durchaus ein Drahtseilakt, denn weder möchten wir die Geschlechterdifferenz festschreiben, noch wollen wir diese Differenz glätten oder leugnen. Eher möchten wir sie erweitern. Erweitern um den Respekt, den wir den Zwischentönen entgegenbringen: Den vielfältigen, widersprüchlichen, ver-rückten und kostbaren Erscheinungsformen und Lebensentwürfen von Menschen. Als Frauenberatungsstelle sind wir offen für Menschen, die Frauen sind – und mehr als das. Menschen, die sich nicht definieren wollen und sich von einer Frauenberatung angesprochen fühlen. Menschen, die als Mädchen / Frauen sozialisiert wurden. Transidente Menschen, die sich in der großen Bandbreite von Geschlechterzuschreibungen und -erfahrungen selbst eher als Frau definieren, bzw. damit vertraut oder sichtbar sind

Als Frauenberatungsstelle bewegen wir uns in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld zwischen bipolaren Geschlechtsfestschreibungen und vielfältigen Geschlechtsidentitäten.

Brisant ist dieses Spannungsfeld, weil wir uns fast alle mit eindeutigen Vorstellungsbildern von und in unserer Welt bewegen, uns mit diesen Bildern orientieren, zugehörig oder irritiert fühlen und diese inneren und äußeren Verortungen auch aktiv gestalten oder aussuchen.

Das fängt bei der allgegenwärtigen Frage an schwangere Frauen oder werdende Eltern nach dem Geschlecht des Babys an. Judith Butler beschreibt den Ausspruch der Hebamme „ Es ist ein Mädchen“ als eine sprechende Handlung, woraus folgt: „Werde ein Mädchen“.

Als Menschen sind wir alle auf soziale Spiegelung angewiesen und auf ein Minimum an gesellschaftlichem Konsens, um uns sicher zu fühlen. Gleichermaßen brauchen wir das Überschreiten von einengenden Konventionen und Stereotypen, um uns frei entwickeln zu können. Eine Bipolarität der Geschlechter in Frage zu stellen, konfrontiert oft zuerst einmal mit Bedürfnissen oder Gewohnheiten nach Eindeutigkeit.

  • Z.B. wenn wir ein WC oder die Duschräume in der Sauna aufsuchen,
  • oder bei der Wahl möglicher Sitznachbar_innen in Bussen,
  • oder beim Nachdenken über Fortbildungen oder Bewerbungen,
  • oder bei der Frage, ob wir männliche oder weibliche Therapeut_innen empfehlen, …

Diese Vereindeutigungskultur negiert die Menschen, die ihr Geschlecht oder ihre geschlechtliche Identität jenseits der Kategorien weiblich/männlich definieren.

Erst in den letzten Jahren wurde öffentlich, wie gewaltvoll die Geschlechtereindeutigkeit hergestellt wird.

  • Z.B. bei Babys, die ohne eindeutiges Geschlecht geboren werden und sehr früh ohne jede ärztliche Notwendigkeit chirurgischen Eingriffen ausgesetzt werden;
  • bei Jungen, die Freude an Mädchenkleidung haben und die Frage wie selbstverständlich gestellt wird, wo er denn behandelt wird;
  • bei Menschen, die ihre Geschlechtsrolle anders erleben oder erstreben als es ihr biologisches Geschlecht vorgibt und deshalb ausgegrenzt oder verfolgt werden;
  • bei Menschen, die aus Freude oder Not mit der Geschlechtsrolle spielen, variieren, experimentieren und deshalb ausgegrenzt oder verfolgt werden.

Wissend um Trans-Inter-Pluri-… Sexualitäten positionieren wir uns innerhalb dieser Vielfalt als FRAUENberatungsstelle. Wir haben jedoch die Hoffnung, dass eine Anerkennung der Komplexität in der Geschlechterlandschaft menschliches Denken und Handeln weiter machen könnte, nicht enger im Bemühen, alles richtig zu machen und niemanden auszugrenzen. Vielleicht geht es mehr um die Anerkennung der Differenzen, als um das Vermeiden von Diskriminierungen.

Es bleiben Fragen wie diese: Schaffen bzw. reproduzieren wir die Unterschiede, wenn wir versuchen, alle Unterschiede zu benennen? Die Benennung von LSBTIQ (lesbisch-schwul-bi-trans*-intersexuell-queer) ist auch nie vollständig. In der TuBF haben wir uns für die Benennung „lesbische, bisexuelle undtransidente Frauen“ entschieden, weil Menschen sich selbst so beschreiben und weil wir gegenwärtig meinen, damit die meisten Frauen anzusprechen, die in die TuBF kommen würden. Wir sehen diese Bezeichnung nicht als neue Norm, sondern als Symbol eines gegenwärtigen Standes der Auseinandersetzung.

Marita Blauth
TuBF Frauenberatung
info@tubf.de
Mai 2016