Transparent QueerFem-Power

Die TuBF im Universum der Geschlechter

2017

Einführungsrede zur Jubiläumstagung „Geschlechtertanz: Trans*idente Menschen in der Psychotherapie“. Die TuBF möchte die Geschlechterdifferenzen weder festschreiben, noch glätten oder leugnen. Geht das?

Angesichts des Themas der anschließenden Tagung stellt sich natürlich die Frage: Wenn das mit den Geschlechtspolaritäten und –Identitäten nicht so eindeutig ist, warum bleiben wir dabei, immer noch eine FRAUEN-Beratungsstelle zu sein und uns als solche weiterhin auf Frauen zu beziehen?

Ich werde versuchen, unsere gegenwärtige Haltung zu diesem Thema darzustellen.

Als Frauenberatungsstelle – sprechen wir alle Frauen an? Nein, das tun wir nicht. Bereits durch unsere Teamzusammensetzungen, durch unsere Ausrichtung auf humanistische mittelschichtsorientierte Therapiekonzepte nehmen wir Einfluss auf die Gruppe der Frauen, die zu uns kommen.

Das große weibliche WIR, das zu Beginn der zweiten westdeutschen Frauenbewegung und auch in den Gründungsjahren der TuBF eine kämpferische Kraft entwickelte, hat sich weiter ausdifferenziert. Birgit Rommelspacher und Christina Thürmer Rohr beispielsweise haben mit ihren Texten dazu angeregt, über uns als Teil einer Mehrheits-Dominanzkultur nachzudenken.

In den letzten Jahren ist ein weiteres gesellschaftliches Spannungsfeld sichtbarer geworden, das sich zwischen bipolaren Geschlechtsfestschreibungen und vielfältigen Geschlechtsidentitäten bewegt und als Frauen-Beratungsstelle bewegen wir uns mit. Oder sollten wir als beraterische und therapeutische Institution eher ein unverrückbarer Fels in der Brandung sein? Ein Ort der Konvention und Beständigkeit, geeignet, Selbst-Sicherheiten zu bieten?

In psychischen Krisen können Gewissheiten hilfreich und selbstberuhigend sein.

Da ist einmal die Gewissheit, am nächsten Morgen in einem heilen Haus, mit einem Dach über dem Kopf und angemessener Wärmequelle aufzuwachen. Das ist die Gewissheit, in den nächsten Wochen über einen finanziellen Betrag zu verfügen, der den momentanen Lebensstandard sichert. Das ist die Gewissheit, dass verlässliche soziale Kontakte auch morgen noch zur Verfügung stehen. Und das ist die Gewissheit, dass, wenn ich ICH sage, sowohl ich selbst als auch die Menschen in meiner Nähe eine Idee davon haben, was dieses Ich ausmacht. Traditionellerweise gehört zu diesen Ich-Gewissheiten auch die über eine Geschlechtsidentität.

Für die frauenbewegten Frauen ab den 1960 er Jahren gehörte zur Geschlechtsidentität die Gewissheit, nicht als Frau geboren worden zu sein, sondern zur Frau zu werden. Und hier tat sich schon ein Spannungsfeld auf. Judith Butler sagt dazu später: „Die Geschlechterdifferenz ist ein Ort, an dem wieder und wieder eine Frage in Bezug auf das Verhältnis des Biologischen zum Kulturellen gestellt wird, an dem sie gestellt werden muss und kann, aber wo sie strenggenommen nicht beantwortet werden kann.“

Wenn das nicht verwirrend ist. Wir sollen und müssen Fragen stellen, auf die es keine Antworten gibt, ja gar nicht geben soll, denn jede Antwort kann zur Reduktion und erneuten Normierung beitragen.

Ich denke, dieses Spannungsfeld ist wichtig und soll gar nicht aufgelöst werden.

Es kann jedoch eng kann und weit gedacht werden.

Eng bleibt es in der Suche nach dem politisch korrekten, dem bewussten, fehlerlosen Verhalten und Sprechen.

Weit kann es werden in der Übung darin, vielfältige und widersprüchliche, ver-rückte, ungleiche und sich verändernde Erscheinungsformen und Lebensentwürfen von Menschen wahrzunehmen – und sie als ein Mehr anzuerkennen.

Ein Mehr, das etwas möglich macht, und nicht etwas nimmt. Ein Mehr, das dazu auffordert, persönliche Positionen zu finden, sich zu zeigen mit dem jeweils Eigenen. Es geht um Versuche, Prozessen der Auseinandersetzung einen ebensolchen Wert beizumessen wie einem guten oder richtigen Ergebnis.

„Fragend gehen wir voran“

Das war der Slogan der Zapatistenbewegung in Chiapas / Mexico. Die Bewegung entstand in den 1990er Jahren gegen die Ausbeutung der indigenen Bevölkerung, gegen das Freihandelsabkommen NAFTA und andere Missstände. Der Slogan brachte  zum Ausdruck, dass gesellschaftliche Veränderungen nicht am Reißbrett geplant oder am Computer berechnet und vorhergesagt werden können, sondern dass sie aus der Präsenz, der Notwendigkeit und Neugierde in der Bewegung entstehen. Fragend gehen wir voran:

Als TuBF-Frauen hinterfragen wir Geschlechterkategorien und –identitäten. Gleichwohl nehmen wir die unterschiedlichen Erfahrungswelten in einer geschlechtspolar organisierten Gesellschaft ernst und halten mit der TuBF einen Frei- und Entwicklungs-Raum aufrecht.

Dieser Raum ist offen für Menschen, die Frauen sind – und mehr als das.

Mehr als von weiblichen Normen geprägt, sondern auch von Regierungs- und Rechtssystemen, Religionen, regionalen Besonderheiten, Bildungsunterschieden, biografischen Erfahrungen, individuellen Fähigkeiten und Einschränkungen, Privilegien, Sprachen und Menschenbildern.

So viele Möglichkeiten, Menschen zu beschreiben oder wahrzunehmen.

So viele Möglichkeiten, um Verbindungen oder Ausgrenzungen herzustellen.

Menschen in ihrer Erfahrung, ihrem Erleben oder ihrem Selbstausdruck als Frau oder Trans*gender zum Thema zu machen ist also gesellschaftlich genauso wichtig wie nebensächlich.

Gegenwärtig haben wir uns dafür entschieden, offen zu sein für Menschen:

Für Menschen, die sich nicht definieren wollen und sich von einer Frauenberatung angesprochen fühlen. Menschen, die als Mädchen / Frauen sozialisiert wurden. Transidente Menschen, die sich in der großen Bandbreite von Geschlechterzuschreibungen und -erfahrungen selbst eher als Frau definieren, bzw. damit vertraut oder sichtbar sind.

Dabei möchten wir weder die Geschlechterdifferenzen festschreiben, noch wollen wir sie glätten oder leugnen. Wie das geht?

Vielleicht indem wir das Achten von Grenzen und den Respekt gegenüber dem, wie die Welt geworden ist, wie wir geworden sind, ebenso wichtig nehmen wie die Notwendigkeit, Grenzen und Begrenzungen mutig zu überschreiten.

Als Menschen sind wir alle auf soziale Spiegelung angewiesen und auf ein Minimum an gesellschaftlichem Konsens, um uns sicher zu fühlen. Gleichermaßen brauchen wir das Überschreiten von einengenden Konventionen und Stereotypen, um uns frei entwickeln zu können. Wir brauchen also diese Spannung zwischen „Tun und Lassen“ zwischen „Widerstand und Ergebung“. Und wir brauchen die Gewissheit, in diesem Spannungsfeld nicht verloren zu gehen, sondern im sich Verständigen und verständlich machen immer wieder neu sicheren Boden zu schaffen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns ein gelingendes Miteinander sprechen. Eine gute Tagung. Danke.

Marita Blauth