Antifeminismus und Anti-Genderismus gefährden Menschenrechte – mit Solidarität und Verbindung gegen Angst und Ohnmacht.

2024

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Dies ist in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten. Der Verkündigung dieser Erklärung gedenken wir alljährlich am 10.12. – dem Internationalen Tag der Menschenrechte.
Wir schauen auf ein bewegtes Jahr und auf zwei besondere Bewegungen, die weltweit die Menschenrechte verschiedener Personengruppen zu bedrohen versuchen: Antifeminismus und Anti-Genderismus.

Die Abschaffung sämtlicher Frauenrechte in Afghanistan durch die Taliban [1] oder die sogenannte „Sittenpolizei“ im Iran, die Frauen aktiv in ihrer Selbstbestimmung beschränken [2] sind sehr greifbare Exemplare antifeministischer Gesinnungen und Maßnahmen – und häufig diejenigen Beispiele, die vielen als erstes einfallen. Absolut berechtigterweise, denn sie stellen massive Angriffe auf die Menschenrechte dort lebender Personen dar. Doch eine Fokussierung auf solch extreme Beispiele kann zu dem Fehlschluss führen, dass antifeministisches Gedankengut und Handeln ausschließlich auf extremes Denken und Tun beschränkt sind; dass es sich dabei um Sachverhalte handelt, die es nur „wo anders“ und „nicht bei uns“ gibt. Dabei zeigt ein Blick in die Geschichte jedoch, dass antifeministische Haltungen und Handlungen unterschiedlicher Ausprägungen auch im deutschsprachigen Raum Tradition hat [3]. Auch ein Blick in die jüngere Vergangenheit und Gegenwart zeigt, dass antifeministische Haltungen und Strukturen weiterhin bestehen und aktiv adressiert werden müssen. Gesetze gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und gegen die Vergewaltigung in der Ehe wurden erst in den 1990er Jahren erlassen [3]. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung wird weiterhin dadurch eingeschränkt, dass Schwangerschaftsabbrüche vor dem deutschen Gesetz noch immer als Straftaten gewertet werden [4]. Neben Antifeminismus lässt sich zudem ein Anti-Genderismus beobachten, der sich ebenfalls erstmalig in der Gesetzgebung niederschlägt, wie vor Kurzem in Bayern. Dort ist Gendersprache in öffentlichen Behörden, Schulen und Universitäten seit diesem Jahr unzulässig [5]. Es gibt Expertinnen-Meinungen, die solche Anti-Genderismus-Bestreben analog zu antifeministischen Bewegungen verstehen [3]. Denn was beide definieren, ist dass sie als „Widerstandsbewegungen gegen die Emanzipationsbestrebungen“ [3, S.16] von bestimmen Personengruppen wirken. Dadurch stellen sie unter anderem eine Gefährdung der Selbstbestimmung von Merkmalsträgerinnen und ultimativ auch Versuche dar ihnen ihre Menschenrechte abzusprechen.

Antifeminismus und Anti-Genderismus umfassen diverse Aspekte, die im Vergleich zu den Beispielen aus Afghanistan und dem Iran weniger extrem ausgeprägt sind, dadurch aber auch unterschwelliger und kleinschrittiger die Menschenrechte von Frauen, INTA+ und queeren Personen untergraben sowie demokratiefeindliche Züge annehmen können. Beispiele aus unserem Kulturraum sind in etwa die überraschend hohe Zustimmung gegenüber frauen- und LBGTQIA-feindlichen Aussagen [vgl. 6], die zunehmende feindselige Stimmungsmache gegenüber queeren Personen durch polarisierenden Diskurs und Desinformation [vgl. 7] und auch die Aufrechterhaltung diskriminierender Gesetzgebung trotz gegenteiliger, stichhaltiger Expert*innen-Empfehlungen [vgl.4]. Auch werden in sozialen Medien kulturelle Nischen wie der sogenannte „Trad-Wife“-Lebensstil oder die Subkultur der sogenannten „Manosphere“, die beide mit anti-emanzipatorischen Bewegungen in Verbindung gebracht werden, präsenter und tragen somit auch zur Beschönigung und Normalisierung von Antifeminismus und Anti-Genderismus bei. [vgl. 8]

Mittel gegen Angst: Solidarisierung und Verbundenheit

Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen hören wir von zunehmenden Sorgen und Ängsten in Bezug auf zukünftige Entwicklungen in der Gesellschaft, Politik und Rechtsprechung. Dabei können sich schnell Gefühle von Angst und Traurigkeit breitmachen. Aus psychologischer Perspektive wissen wir: Unsere Gefühle haben unter anderem die Funktion uns zu signalisieren, wie es um unser Innenleben steht. Unangenehme Emotionen weisen uns darauf hin, dass unsere Bedürfnisse nicht erfüllt oder gar verletzt werden und zeigen uns, dass es etwas zu tun gibt. Auch wenn es sich manchmal so anfühlt, als könne das Individuum alleine nichts ausrichten, gibt es viele Dinge, die wir alle tun können, um unsere Menschenrechte zu wahren und zu schützen.

Für einander da zu sein, miteinander zu sprechen, Aufmerksamkeit zu schaffen, Mitstreiterinnen und Leidensgenossinnen zu finden, uns miteinander zu solidarisieren – all dies ist uns möglich. Jede*r von uns kann einen kleinen Beitrag leisten, egal ob im Privaten durch Gespräche, in der Öffentlichkeit durch Aktivismus, aus der Ferne durch materielle Ressourcen oder eins zu eins im wohlwollenden Miteinander. Wir können einander im Kleinen wie im Großen unterstützen, Missstände aufzeigen, einander Hoffnung geben und unsere Demokratie stärken. So wahren wir unsere menschlichen Freiheiten, treiben unsere Selbstbestimmung wieder und weiter voran und können dadurch gemeinsam in Würde leben. Denn…

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen. Jeder hat Anspruch auf [diese] Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ — Artikel 1, 2 und 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte [9]

Hier finden Sie (queer-)feministische Menschenrechtsorganisationen, die Sie unterstützen können:

Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e.V.
UN Women
Feminist Law Clinic Köln
Amnesty International
CARE Deutschland e.V. – Schwerpunkt: Geschlechtergerechtigkeit

Weiterführendes zu den Themen Menschenrechte, Antifeminismus und Anti-Genderismus:

Bundeszentrale für politische Bildung (2019). „10. Dezember: Tag der Menschenrechte“
• Ganz, Kathrin (o.D.). „Anti-Genderismus: Gender unter Ideologieverdacht“, abrufbar hier
Kemper, Andreas (2020). „Antifeministische Narrative. Ein Diskursatlas.“, Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung e.V., Berlin.
Medica Mondiale (o. D.). „Frauenrechte sind Menschenrechte”
NS-Dokumentationszentrum: Ausstellung „Antifeminismus – eine politische Agenda“ (bis Februar 2025)

Quellen:
[1] Medica Mondiale (o.D.) Frauenrechte in Afghanistan, abrufbar hier
[2] Amnesty International (26. Juli 2023), abrufbar hier
[3] Streichhahn, Vincent (2020). „Antifeminismus damals und heute. Eine Geschichte ohne Ende?“. Wissen schafft Demokratie, Schriftenreihe des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Band, 7, 19-28. Abrufbar hier
[4] Deutschlandfunk (2024). „Abtreibungen sind strafbar – ist das richtig?“, abrufbar hier
[5] Deutschlandfunk Kultur (2024). „Bayerns Staatsregierung führt Genderverbot ein“, abrufbar hier
[6] siehe
[7] Reveland, Carla & Siggelkow, Pascal (2023). „Verstärkte Mobilisierung gegen queere Menschen“, abrufbar hier
[8] Bauer, Mareike Fenja (2024). „„Echte Männer“ und „wahre Weiblichkeit“? Antifeminismus im Unterricht begegnen.“, Bundeszentrale für politische Bildung, abrufbar hier
[9] UN-Generalversammlung (1948). Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 A (III), deutsche Übersetzung abrufbar hier

Beitragsfoto von Markus Spiske auf Unsplash