Anlässlich des 19. Juni: Sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten – übersehene Gewalttaten und die erschütternde Lebensrealität von Überlebenden

2024

Sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten wird oft strategisch als brutale Kriegstaktik genutzt, welche ein unermessliches Ausmaß an Leid und Spuren hinterlässt, die über rein körperliche hinausgehen. Am heutigen Welttag zur Beseitigung sexualisierter Gewalt in Konflikten möchten wir auf diese Gewalttaten aufmerksam machen und die Folgen für Überlebende beleuchten.

Am 19. Juni 2015 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Einführung des Welttags zur Beseitigung sexualisierter Gewalt in Konflikten. Dies geschah im Anschluss an diverse vorherige Resolutionen, welche die Beseitigung von Gewalt an Frauen thematisieren. Denn auch sexualisierte Gewalt in Konflikten richtet sich überproportional gegen Frauen und Mädchen. [1]

Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe gibt es so lange wie es auch bewaffnete Konflikte gibt. Laut den Vereinten Nationen gibt es gegenwärtig Hinweise auf die Anwendung sexualisierter Gewalt in diversen Konfliktregionen. Hierzu gehören unter anderem Afghanistan, die Zentralafrikanische Republik, Kolumbien, der Kongo, der Irak, Libyen, Mali, Myanmar, Somalia, Sudan, Südsudan, Syrien, Ukraine und der Jemen. [2] Doch auch historische Berichte über die Anwendung in und nach dem zweiten Weltkrieg [3], sowie Berichte aus der jüngeren Geschichte in Ruanda, Bosnien [3], Jugoslawien [4] und dem Kosovo [5] sind bekannt.

Diese brutale Taktik verfolgt dabei verschiedenste Ziele. Dazu gehören das Einflößen von Furcht, die Ausübung von Macht, die Zerstreuung, Vertreibung und Umsiedlung von Gemeinschaften oder auch die Erniedrigung von Mitgliedern einer Gesellschaft. Demensprechend trifft sie größtenteils die in Konfliktregionen lebende Zivilbevölkerung, kommt aber auch in Streitkräften selbst vor. [1]

Weshalb uns dieses Thema betrifft

Aus Berichten zu sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten wird ersichtlich, dass diese Gewalttaten gezielt zur Schaffung und Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen genutzt werden – oft vor dem Hintergrund eines patriarchalen und gewaltverherrlichenden Weltbildes.

Sexuelle Sklaverei, Zwangsehen, erzwungene Schwangerschaften, Diebstahl von Kindern und Zwangssterilisation sind nur einige der vielfältigen Formen und Folgen sexualisierter Gewalt, die als Mittel eingesetzt werden, um eine bestimmte Gemeinschaft aus politischen, religiösen und/oder ethnischen Gründen zu schädigen oder zu vernichten.

Lange nicht mehr hat uns ein Thema derart aufgewühlt und umgetrieben wie die Schilderungen der Überlebenden derartiger Gewalt. Für uns als feministische Beratungsstelle mit herrschaftskritischer Gesinnung ist es somit ein sozial- und gesundheitspolitisches Anliegen auf diese Gewalttaten aufmerksam zu machen und uns für die Einführung von präventiven Maßnahmen und Strukturen sowie die konsequente straf- und zivilrechtliche Verfolgung aller Verantwortlichen auszusprechen. Ferner sind wir in unserer Arbeit für und mit Frauen* und INTA+ selbst auch Zeug*innen davon, wie das Erleben sexualisierter Gewalt in patriarchalen Machtverhältnissen das Leben einer einzelnen Person, aber auch einer ganzen Familie und Folgegenerationen nachhaltig belasten, schädigen oder gar zerstören kann.

Folgen für die Gesellschaft und das Individuum

Die gezielte und strategische Anwendung von sexualisierter Gewalt im Kontext von bewaffneten Konflikten bringt eine Bandbreite an Folgen für die Betroffenen und somit auch für die Gesellschaft mit sich. Über die letzten Jahrzehnte haben es sich verschiedene Personen und Institutionen zur Aufgabe gemacht mit betroffenen Personen zu sprechen und diese Folgen zu dokumentieren. Eine von ihnen ist die britische Journalistin und Autorin Christina Lamb, die seit vielen Jahren als Auslandskorrespondentin und Kriegsreporterin tätig ist. Die Schilderungen, die sie in ihrem 2020 erschienenen Buch „Our Bodies. Their Battlefield. What War Does To Women“ (dt. Titel: „Unsere Körper sind euer Schlachtfeld. Frauen, Krieg und Gewalt“) [6] veröffentlicht, sind mehr als erschütternd. Für ihr Buch interviewte Lamb zahlreiche Überlebende und deren Unterstützer*innen in Asien, Afrika, Südamerika und Europa. Lamb reiste vor allem an Orte, an denen sexualisierte Gewalt gegen eine bestimmte Gemeinschaft und von oben gesteuert als Kriegswaffe eingesetzt wurde. Ein Ziel ihrer Recherchearbeit war bzw. ist es, den Überlebenden eine Stimme zu geben, ihre Geschichten zu hören und dieses Thema, das nach wie vor viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält, in den Fokus des gesellschaftlichen Blicks zu rücken.

So erleben Betroffene oft diverse körperliche, psychische, aber auch soziale Belastungen in Folge der sexualisierten Gewalt. Je nach Art der erlebten sexualisierten Gewalt, sowie dem Ausmaß und der Qualität der anschließenden medizinischen Versorgung können sich verschiedenste Verletzungen, Wunden, Narben, Krankheiten oder Störungen manifestieren. In diesem Kontext ist es zudem problematisch, dass Überlebende konfliktbezogener sexualisierter Gewalt davon berichten, dass sie im Anschluss an die Gewalttaten oft keinerlei Hilfe bzw. Unterstützung erhalten haben. [7]

Dementsprechend sind auch psychische Probleme oft eine Folge von solchen Gewalterfahrungen. Posttraumatische Belastungsstörungen, bei denen Überlebende unter anderem ein unfreiwilliges, sich immer wieder aufdrängendes gedankliches und emotionales Wiedererleben („Flashback“) der Ereignisse durchleben. Suchtmittelmissbrauch und -abhängigkeiten, um die emotionalen Wunden und die Belastung des Erlebten psychisch zu betäuben. Aber auch diverse andere psychische Erkrankungen, wie Zwangsstörungen, Angststörungen, Depressionen oder Psychosen können in Folge sexualisierter Gewalt entstehen.

Christina Lamb kommt infolge ihrer zahlreichen Gespräche mit Überlebenden sexualisierter Gewalt in Konfliktgebieten zu dem Schluss, dass eigentlich niemand derartige Gewalttaten bewältigen kann. So findet sich in ihrem Buch der Vergleich mit „einem Chemiewaffenangriff“ [6, S. 400], insofern derartige Gewalt einen sofortigen und langfristigen Schaden anrichtet. Es geht um das Überleben; danach Wege zu finden auf irgendeine Art und Weise mit dem Leben zurecht zu kommen. Denn auch das soziale und gesellschaftliche Leben von Überlebenden kann durch sexualisierte Gewalt vergiftet werden. So erfahren einige Überlebende Beschämung und Ausgrenzung durch Mitglieder ihres eigenen Umfelds. Wieder andere werden aufgrund der sexualisierten Qualität der Übergriffe als Verräter*innen oder Kollaborateur*innen der Täter*innen-Parteien wahrgenommen und dargestellt. Massive Scham und Schuldgefühle begleiten viele von ihnen ein Leben lang.

Auch allgemeingesellschaftlich spielt die Verringerung und Beseitigung von sexualisierter Gewalt in Konflikten eine essenzielle Rolle, da sie die Entwicklung einer Gesellschaft nachhaltig mitbeeinflussen kann. Aus Berichten wissen wir, dass (nicht ausschließlich, aber) größtenteils Frauen und Mädchen bzw. weiblich gelesene Personen betroffen sind. Dies verringert wiederrum systematisch die Teilhabe von Frauen an der Beilegung von Konflikten und Post-Konflikt-Prozessen, wie z.B. dem Wiederaufbau oder der Friedenskonsolidierung. [1] „Straffreiheit bleibt die Regel und Rechenschaftspflicht die seltene Ausnahme“ sagt die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konfliktgebieten Pramila Patten [6, S. 402]. Falls es überhaupt zu einer Strafverfolgung der Verantwortlichen oder Gerichtsverhandlung kommt, sehen sich viele Überlebende oft mit weiteren Erniedrigungen und Demütigungen, weiterer psychischer Gewalt und retraumatisierenden Erfahrungen konfrontiert, wenn z.B. ihre Glaubwürdigkeit infrage gestellt wird oder sie die Gewalttaten wiederholt schildern sollen. [6, S. 406]

Trotz erster positiver Entwicklungen, wie beispielsweise die Möglichkeit eine staatliche Opferentschädigung als Überlebende sexualisierter Gewalt im Kosovo-Krieg zu erhalten [8], gibt es bislang global gesehen keine ausreichende Beachtung und Anerkennung dieser Gewalttaten und der Lebensrealitäten und Leidenswege der Überlebenden, geschweige denn Gerechtigkeit im Sinne umfassender Strafverfolgung von Täter*innen und Unterstützung von Überlebenden.

Bestrebungen und Maßnahmen zur Beseitigung konfliktbezogener sexualisierter Gewalt sind eine menschenrechtliche und feministische Angelegenheit, auf die wir heute aufmerksam machen möchten.

In diesem Sinne schließen wir uns anderen Stimmen an und fordern klar und nachdrücklich

  • den Abbau gewaltfördernder, machtverherrlichender und anti-feministischer Strukturen und Gesinnungen
  • ein Ende der Straflosigkeit für die Verantwortlichen
  • eine zwischenmenschliche und zivilrechtliche Anerkennung der Erfahrungen Überlebender

Jetzt!

Anmerkung der Autorinnen: Uns ist bewusst, dass neben Frauen und weiblich gelesenen Personen auch zahlreiche Männer bzw. männlich gelesene Personen, sowie INTA+ zur Zielschreibe der beschriebenen Gewalttaten werden [6, S. 398f.]. Leider mussten wir uns in diesem Beitrag begrenzen, sodass wir jene Facette dieser Thematik nicht in der gebührenden Angemessenheit adressieren konnten. Daher möchten wir an dieser Stelle auch explizit auf männliche, überwiegend männlich gelesene und INTA+ Betroffene von sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten aufmerksam machen.

Unsere Empfehlungen für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema:

Büro der Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für sexuelle Gewalt in Konflikten (2021). In Their Own Words: Voices of Survivors of Conflict-Related Sexual Violence and Service-Providers, verfügbar hier.

Lamb, Christina (2020). „Our Bodies,Their Battlefield. What War Does To Women“ bei William Collins, London. Aus dem Englischen übersetzt von Maria Zettner, Friedrich Pflüger, Heike Schlatterer, Anja Lerz und Karin Schuler und unter dem Titel: „Unsere Körper sind euer Schlachtfeld. Frauen, Krieg und Gewalt“, Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2021. Erhältlich hier.

Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (2022). Sexualisierte Gewalt in Konflikten – eine bleibende Herausforderung, verfügbar hier.

Zum Headerbild:

Im Header ist eine Fotografie des Heroinat Denkmals zur Erinnerung an die Überlebenden sexualisierter Gewalt im Kosovo-Krieg in Pristina, Kosovo, abgebildet. [9]



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1 UN-Dok. S/RES/69/293, verfügbar unter https://www.un.org/Depts/german/gv-69/band3/ar69293.pdf
2 Generalsekretär der Vereinten Nationen (2023). Conflict-related sexual violence – Report of the United Nations Secretary-General (S/2023/413), verfügbar unter https://www.un.org/sexualviolenceinconflict/wp-content/uploads/2023/07/SG-REPORT-2023SPREAD-1.pdf [abgerufen am 30.04.2024]
3 Bundeszentrale für politische Bildung (2011). Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten, verfügbar unter https://sicherheitspolitik.bpb.de/de/m1/articles/sexual-violence-in-armed-conflict  [abgerufen am 30.04.2024]
4 Fleming, Rebecca (2022). Sexualisierte Gewalt in Konflikten – eine bleibende Herausforderung, verfügbar unter https://frieden-sichern.dgvn.de/meldung/sexuelle-gewalt-in-konflikten-eine-bleibende-herausforderung [abgerufen am 30.04.2024]
5 Cama, Aida (2018). Kosovo: Opfer sexueller Gewalt brechen ihr Schweigen., verfügbar unter https://www.dw.com/de/opfer-sexueller-gewalt-im-kosovo-krieg-brechen-ihr-schweigen/a-46598311 [abgerufen am 03.05.2024]
6 Lamb, Christina (2020). „Our Bodies, Their Battlefield. What War Does To Women“ bei William Collins, London. Aus dem Englischen übersetzt von Maria Zettner, Friedrich Pflüger, Heike Schlatterer, Anja Lerz und Karin Schuler und unter dem Titel: „Unsere Körper sind euer Schlachtfeld. Frauen, Krieg und Gewalt“, Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2021.
7 Büro der Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für sexuelle Gewalt in Konflikten (2021). In Their Own Words: Voices of Survivors of Conflict-Related Sexual Violence and Service-Providers, verfügbar unter https://www.un.org/sexualviolenceinconflict/in-their-own-words-voices-of-survivors-of-conflict-related-sexual-violence-and-service-providers/
8 Ernst,S. Haxhiaj, S. & Unkic, H.(2019) 20 Jahre nach dem Kosovo-Krieg. Entschädigung für die Opfer sexueller Gewalt., verfügbar unter https://www.deutschlandfunk.de/20-jahre-nach-dem-kosovo-krieg-entschaedigung-fuer-die-100.html [abgerufen am 13.06.2024]
9 Bildquelle: Robot8A; Nutzung nach Lizenz: CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons; verfügbar unter https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/7b/Kosovo_Feb_2020_22_05_05_379000.jpeg