Abschiedsfest Marita Blauth

Abschied von der TuBF Leiterin Marita Blauth

2023

Im August dieses Jahres hat sich mit Marita Blauth nun das letzte Mitglied aus den Anfängen der TuBF in den Ruhestand verabschiedet. Seit 1984 hat sie die Entwicklung der TuBF mit erfunden, gestaltet und in den letzten Jahren ihre Geschicke verantwortlich gelenkt.
Am 11. August haben langjährige enge Weggefährt:innen, Kolleg:innen und Freund:innen sie mit einer Abschiedsfeier gewürdigt und das, was war und das, was kommen wird, ausgiebig gefeiert.

Gruppe von (ehemaligen) Kolleg:innen
Schnappschuss des Abschiedsfests

Gedicht von Semra Ertan
Ein Beitrag von Sunna Everding und Hülya Dogan in Deutsch und Türkisch

Wir haben uns auf die Suche begeben nach einem Gedicht; das den Abschiedsprozess für Dich und für uns mit etwas Melancholie, Tiefe und auch einer Prise Hoffnung begleiten kann.
Es sollte natürlich von einer Frau verfasst sein – das versteht sich von selbst!

Als wir fündig wurden, waren wir beide von der Geschichte der Autorin und ihrer Mission eingenommen und berührt. Und erschrocken darüber, dass sie uns trotz der ungebrochenen Relevanz ihres Wirkens gar nicht bekannt war!

Wir sprechen von Semra Ertan, einer als Kind aus der Türkei zu ihren „Gastarbeiter-Eltern“ migrierte Frau, die das Leben gelebt hat, das viele der Frauen, die in der TuBF anklopfen, Alltag nennen.
Eine ungelernte Arbeiterin, die sich als Schriftstellerin und Aktivistin den Werten verschrieben hatte, die Du mit Deiner Haltung und Deinem Wirken verkörperst. Eine Frau, die als arabisch-alevitische Türkin in Deutschland in mehrerlei Hinsicht Minderheitserfahren war. Sie war eine alevitische Vorreiterin im Kampf gegen inhumane Arbeitsbedingungen der Arbeitsmigrant:innen und ihre fehlende Anerkennung. Dabei war sie so ihren politischen und gesellschaftlichen Idealen verschrieben, dass sie angesichts der Realitätskluft im ausländerfeindlichen Deutschland der 80er Jahre einen extremen Weg gegangen ist. Sie hat sich ständig an der Grenze des Aushaltbaren bewegt.

Semra Ertan hat diese Grenze schließlich überschritten. Um die Öffentlichkeit wachzurütteln, verbrannte sie sich 1982 – dem Jahr der TuBF-Gründung – an ihrem 25. Geburtstag aus Protest gegen zunehmenden Rassismus und Diskriminierung öffentlich auf Sankt Pauli in Hamburg.
Sie hat im wahrsten Sinne des Wortes GEBRANNT für ihre Werte und ihre Verzweiflung durch ihre tat symbolisch ausgedrückt… So, dass niemand weggucken konnte. Wie konnte es trotzdem passieren, dass diese Frau und ihr radikaler Akt in Vergessenheit gerieten und erst seit ein paar Jahren wieder an Bekanntheit gewinnen?

Du, so empfingen wir es, hast ihre Botschaft und Forderungen weitergetragen und Realität werden lassen, indem du einen Ort (mit)geschaffen und gestaltet hast, an dem Frauen in ihrem So-Sein wahrgenommen werden und Begleitung erfahren, um aus der Ausweglosigkeit ihrer Lebenssituation heraus zu finden – oder bei aller Schwere im Aushalten-Müssen – nicht alleine zu bleiben.

Semra Ertan übersetzt die kollektiven Erfahrungen ihrer Generation in die universelle Sprache der Poesie. Und wir das klingt, daran möchten wir Euch nun teilhaben lassen:

„Gehen …
Hin zu bekannten und entfernten Orten,
Sehen …
Nicht mit geschlossenen Augen,
Hinaustreten …
Durch eine Sackgasse,
Wissen …
Geheimnisvoll, Neugier erweckend,
Zählen…
Soweit du kannst …
Gehen …
Soweit es geht …
Wollen…
Wahrscheinlich schwer zu erreichen …
Denken …
Um tun zu können, was du denkst,
Anwenden, was du tun kannst.
Träumen und,
Bis die Wünsche sich erfüllen,
Ach!
Es geht nicht nur um das Träumen und Schreiben.
Es geht darum, an das Gute zu glauben,
Die Hauptsache ist, es zu tun.“

„Gitmek …
Bilinen gidilemeyen illere
Görmek …
Gözleri kapatarak değil,
Çıkmak…
Çıkmazliğin içinden
Bilmek …
Kapak alti meraklandiran
Saymak…
Sayabildiğine
Yürümek …
Alabildiğine
İstemek …
Erişilmesi güç. İhtimal.
Düşünmek …
Düşündüğünü yapabilmek,
Yapabildiğini uygulamak
Hayal etmek ve
Dilemek gerçek olmasini
Heyhat!
İş yazmakla dilemekle olmuyor
Doğruluğuna inandiğin şeyi
Yapabilmek … Mesele …“

Semra Ertan, Kiel 7. Februar 1977
Quelle: Semra Ertan, Zühal Bilir-Meier und Cana Bilir-Meier (2023). Mein Name ist Ausländer | Benim Adım Yabancı. edition-assemblage.

Gruppe mit Barita Blauth im Vordergrund
Chor mit Gitarrenbegleitung

… und noch ein Lied: „Die TuBF war lange dein zuhaus“
(Zur Melodie von „Marmor, Stein und Eisen bricht“)

„Die TuBF war lange dein zuhaus.
Jetzt ziehst du in die Welt hinaus.
Luftig, locker, leicht und frei
erfindest du dich neu.“

Die letzten Jahre hieltst du ganz viel, dam — dam, dam — dam.
das fortzuführen, ist unser Ziel dam — dam, dam — dam.

Marita, wir sagen danke dir, dam — dam, dam — dam.
Mit dir geht ein Stück vom WIR, dam — dam, dam — dam.

Alle Gruppebilder: © Rainer F. Steußloff